Die Normannen in der Normandie (911-1066)

Normannische Krieger eilen im Mittelalter von Erfolg zu Erfolg: Seit Beginn des 10. Jahrhunderts erobern sie etappenweise ganz...

Normannische Krieger eilen im Mittelalter von Erfolg zu Erfolg: Seit Beginn des 10. Jahrhunderts erobern sie etappenweise ganz Süditalien und Sizilien – und im Jahr 1130 wird schließlich der normannische Herzog Roger vom Papst zum König von Sizilien gekrönt. Während des ersten Kreuzzugs errichtet Bohemund I., ein Vetter Rogers, im Jahr 1098 das Fürstentum Antiochia, dessen erster Fürst er wird. Und selbstverständlich: Die normannische Eroberung Englands durch Wilhelm den Eroberer im Jahr 1066. 

Normannische Krieger auf dem Teppich von Bayeux
(Abbildung: Wikimedia Commons)

Es ist erstaunlich, welche militärischen Höchstleistungen die Krieger aus der Normandie, diesem relativ kleinen Landstrich im Norden Frankreichs, im Mittelalter vollbringen. Ich möchte heute einen genaueren Blick auf Leben und Kultur der Normannen in der Normandie werfen. Wir werden erfahren, welche besonderen Merkmale das normannische Herzogtum in der Normandie hat, was die Normannen zu so erfolgreichen Eroberern macht und warum die Geschichte der Normannen vor allem eine Geschichte der Veränderung ist.

Wer sind die Normannen überhaupt? Und wie kommen sie in die Normandie?

In der Mitte des 9. Jahrhunderts machen fremde Krieger aus dem Norden die Küsten des Frankenreichs unsicher. Mit ihren Schiffen fahren sie auf den Flüssen weit ins Landesinnere und plündern dort Städte und Klöster. Paris, Hamburg und Rouen fallen ihnen zum Opfer. Wir kennen diese Krieger heute unter dem Namen Wikinger, doch die Franken nennen sie „Nordmannen“. Gegen die skandinavischen Krieger scheint kein Kraut gewachsen, höchstens Geldzahlungen können sie kurzfristig besänftigen. Eine Garantie, in Zukunft von Angriffen anderer Wikinger verschont zu werden, ist das aber natürlich nicht.
Im Jahr 911 entscheidet sich der fränkische König Karl III. für eine neue Strategie: Er schließt mit Rollo, dem Anführer einer Gruppe von Wikingern, ein Friedens- und Freundschaftsbündnis. Rollo wird ein Vasall des fränkischen Königs und die heidnischen Wikinger müssen zum Christentum konvertieren. Im Gegenzug erhalten sie vom Frankenkönig das Küstenland um die Mündung der Saine als ihr Eigentum. Ganz überraschend kommt das nicht: Rollo siedelt bereits seit über 30 Jahren in diesem Gebiet und knüpft Kontakte zur fränkischen Führungsschicht. Jedenfalls beginnt mit dieser Landübergabe die Geschichte der Normannen, der Wikinger in der Normandie.

Aufstieg der normannischen Herrscher

In Nordfrankreich vermischen sich die Skandinavier mit den einheimischen Galliern, Bretonen und Franken. Dennoch haben es die normannischen Newcomer schwer: Wilhelm Langschwert (gest. 942), der Sohn und Nachfolger Rollos, wird von einem Mönch aus Reims noch abschätzig als „Herzog der Piraten“ bezeichnet. Doch langsam können die normannischen Herrscher ihre Stellung festigen: Gegen Ende des 10. Jahrhunderts bezeichnet sich Richard I., der Enkel Rollos, erstmals als „Herzog der Normandie“. Unter Herzog Richard II., dem Sohn Richards I., erlebt die Normandie dann zwischen 996 und 1026 eine Phase von Stabilität und Sicherheit.

Wilhelm der Eroberer auf einer Abbildung in der "Historia Anglorum"
des Matthew Paris (Abbildung: British Library)

Nach dem Tod Richards II. folgt eine Zeit der politischen Krisen mit schwachen Herzögen, die nur kurz herrschen. Erst die Herrschaft von Wilhelm dem Eroberer, dem uneheliche Sohn Herzog Roberts von der Normandie, bringt dem Herzogtum wieder Frieden und Sicherheit. Wilhelm errichtet im ganzen Land neue Burgen und Klöster. Außerdem sichert er die Unabhängigkeit der Normandie durch einen Sieg über den französischen König in der Schlacht von Mortemer (1054). Die Quellen beschreiben Wilhelm als heldenhaften Krieger, als Musterbeispiel des tapferen Ritters. „Seit meiner Kindheit wurde ich für die Waffen erzogen und bin über und über mit dem Blut befleckt, das ich vergossen habe“, soll Wilhelm einmal ausgerufen haben. Sein größter militärischer Erfolg ist sicherlich die Eroberung Englands im Jahr 1066.

Ritterliche Kultur und Liebe zum Krieg

Die Kriegsführung der Normannen hat sich seit den Zeiten Rollos grundlegend geändert: Die adeligen Krieger unter Wilhelm dem Eroberer kämpfen nun als schwer gepanzerte und bewaffnete Reiter, als Ritter. Auf dem Teppich von Bayeux wird dieser Wandel besonders offensichtlich: Die Erben der skandinavischen Piraten müssen 1066 vor der Invasion Englands erst neue Schiffe bauen, offenbar gibt es in der Normandie keine mehr. Doch das Rittertum ist mehr als nur eine neue Form der Kriegsführung, es ist die Lebensweise des Adels. Ritter zu sein bedeutet, sein ganzes Leben der Reitkunst, dem Schwertkampf und der höfischen Kultur zu widmen. „Wer bis zu seinem zwölften Jahr in der Schule gesessen hat und niemals geritten ist, taugt nur noch zum Priester.“, so sagt man sich in der Normandie im 11. Jahrhundert. Und tatsächlich sind die normannischen Ritter wahre Meister ihres Faches, beseelt von einer Hingabe zum Krieg, die ihresgleichen sucht. Hier liegt sicherlich ein Grund für die erfolgreichen Eroberungen in Süditalien und im Heiligen Land.
Die Nachfahren der Wikinger wissen auch im Jahr 1066 noch, wie man ein seetüchtiges Schiff baut. Darstellung auf dem Teppich von Bayeux
(Abbildung: Wikimedia Commons)

Das religiöse Leben blüht

Für die ehemaligen heidnischen Piraten aus Skandinavien ist der neue christliche Glaube kein bloßes Lippenbekenntnis. Das Christentum wird vielmehr zum zentralen Kern des normannischen Selbstverständnisses. Das religiöse Leben in der Normandie erlebt ab 911 eine ungekannte Blüte. Am besten sichtbar wird der religiöse Aufschwung an den Kirchenbauten, die schon bald überall in der Normandie in den Himmel schießen. Die Herzöge der Normandie gründen überall im Land neue Klöster und restaurieren alte Stifte. Aber auch die kleineren normannischen Adeligen sind von einer tiefen Religiosität geleitet:
Die Barone der Normandie waren durch die Frömmigkeit ihrer Fürsten angeregt, es ihnen gleichzutun, und ermunterten sich gegenseitig, ähnliches zur Rettung ihrer Seelen zu unternehmen. Sie wetteiferten untereinander in guten Werken, und jeder wollte am großzügigsten Almosen verteilen, wie es ihrem Rang gemäß war. Jeder der Großen würde sich mehr als verächtlich gedünkt haben, hätte er nicht Kleriker und Mönche auf seinen Gütern im Dienste Gottes unterstützt. (Ordericus Vitalis, zit. nach Brown, S. 34)
Auch innerhalb der Klostermauern kommt es zu Neuerungen: Die normannischen Klöster öffnen sich früh für die Reformbewegung, die vom Kloster Cluny aus in ganz Europa die Missstände in den Klöstern anprangert und das Klosterleben mit neuer Strenge und Frömmigkeit belebt. Besonders der Norditaliener Wilhelm von Volpiano (gest. 1031) kümmert sich unermüdlich um die Reform der Klöster: Er verbessert die Bildung der Mönche, organisiert die landwirtschaftliche Nutzung von Klostergütern neu und befreit die Klöster aus dem Einfluss des weltlichen Adels.

Die Westfront der Kathedrale von Bayeux
(Abb.: Wikimedia Commons, Ndesmoul)

Die zwölf Söhne Tankreds

Handel und Gewerbe boomen und die Städte der Normandie wachsen – und mit ihnen die Bevölkerung. Doch während die Erstgeborenen als Erben des Vaters dessen Besitz und Stellung einnehmen können, bleibt für die nachgeborenen Söhne oft nur wenig übrig. Viele der jüngeren Söhne treten deshalb als Mönche in eines der Klöster der Normandie ein. Nicht für alle Normannen ist das Klosterleben jedoch eine wirklich aussichtsreiche Zukunft: Viele junge normannische Adelige, die voller Tatendrang stecken, suchen ihr Glück deshalb außerhalb der Normandie. Der Ehrgeiz dieser jungen Krieger trägt sicherlich ebenfalls viel zum Erfolg der Normannen bei. Von den zwölf Söhnen Tankreds von Hauteville, eines normannischen Adeligen, gehen zum Beispiel insgesamt acht nach Süditalien – und steigen dort zu Grafen, Herzögen und schließlich Königen auf. Ganz allgemein ist die Geschichte der Normannen eine Geschichte der Verwandlung und des Aufstiegs: Aus heidnischen Piraten werden christliche Ritter. Und aus dem normannischen Herzog Wilhelm dem Bastard wird der englische König Wilhelm der Eroberer. Mit dem Jahr 1066 beginnt gleichzeitig ein neues Kapitel in der Geschichte der Normandie, die nun eng mit England verbunden ist.


Literatur zu den Normannen in der Normandie

Brown, Richard Allen: Die Normannen. Aus dem Englischen übersetzt von Harald Ehrhardt, München/Zürich 1988.
Houben, Hubtert: Die Normannen. München 2012.
Plassmann, Alheydis: Die Normannen. Erobern – Herrschen – Integrieren, Stuttgart 2008.

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