Wikinger
Die Normannen in der Normandie (911-1066)
September 28, 2016
Normannische Krieger eilen im
Mittelalter von Erfolg zu Erfolg: Seit Beginn des 10. Jahrhunderts erobern sie etappenweise
ganz Süditalien und Sizilien – und im Jahr 1130 wird schließlich der
normannische Herzog Roger vom Papst zum König von Sizilien gekrönt. Während des
ersten Kreuzzugs errichtet Bohemund I., ein Vetter Rogers, im Jahr 1098 das
Fürstentum Antiochia, dessen erster Fürst er wird. Und selbstverständlich: Die
normannische Eroberung Englands durch Wilhelm den Eroberer im Jahr 1066.
Normannische Krieger auf dem Teppich von Bayeux
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Es ist
erstaunlich, welche militärischen Höchstleistungen die Krieger aus der
Normandie, diesem relativ kleinen Landstrich im Norden Frankreichs, im
Mittelalter vollbringen. Ich möchte heute einen genaueren Blick auf Leben und
Kultur der Normannen in der Normandie werfen. Wir werden erfahren, welche
besonderen Merkmale das normannische Herzogtum in der Normandie hat, was die
Normannen zu so erfolgreichen Eroberern macht und warum die Geschichte der
Normannen vor allem eine Geschichte der Veränderung ist.
Wer sind die Normannen überhaupt? Und wie kommen sie in die Normandie?
In der Mitte des 9. Jahrhunderts
machen fremde Krieger aus dem Norden die Küsten des Frankenreichs unsicher. Mit
ihren Schiffen fahren sie auf den Flüssen weit ins Landesinnere und plündern
dort Städte und Klöster. Paris, Hamburg und Rouen fallen ihnen zum Opfer. Wir kennen
diese Krieger heute unter dem Namen Wikinger, doch die Franken nennen sie
„Nordmannen“. Gegen die skandinavischen Krieger scheint kein Kraut gewachsen,
höchstens Geldzahlungen können sie kurzfristig besänftigen. Eine Garantie, in
Zukunft von Angriffen anderer Wikinger verschont zu werden, ist das aber
natürlich nicht.
Im Jahr 911 entscheidet sich der
fränkische König Karl III. für eine neue Strategie: Er schließt mit Rollo, dem
Anführer einer Gruppe von Wikingern, ein Friedens- und Freundschaftsbündnis.
Rollo wird ein Vasall des fränkischen Königs und die heidnischen Wikinger
müssen zum Christentum konvertieren. Im Gegenzug erhalten sie vom Frankenkönig
das Küstenland um die Mündung der Saine als ihr Eigentum. Ganz überraschend
kommt das nicht: Rollo siedelt bereits seit über 30 Jahren in diesem Gebiet und
knüpft Kontakte zur fränkischen Führungsschicht. Jedenfalls beginnt mit dieser
Landübergabe die Geschichte der Normannen, der Wikinger in der Normandie.
Aufstieg der normannischen Herrscher
In Nordfrankreich vermischen sich
die Skandinavier mit den einheimischen Galliern, Bretonen und Franken. Dennoch
haben es die normannischen Newcomer schwer: Wilhelm Langschwert (gest. 942),
der Sohn und Nachfolger Rollos, wird von einem Mönch aus Reims noch abschätzig
als „Herzog der Piraten“ bezeichnet. Doch langsam können die normannischen
Herrscher ihre Stellung festigen: Gegen Ende des 10. Jahrhunderts bezeichnet
sich Richard I., der Enkel Rollos, erstmals als „Herzog der Normandie“. Unter
Herzog Richard II., dem Sohn Richards I., erlebt die Normandie dann zwischen
996 und 1026 eine Phase von Stabilität und Sicherheit.
Wilhelm der Eroberer auf einer Abbildung in der "Historia Anglorum" des Matthew Paris (Abbildung: British Library) |
Nach dem Tod Richards
II. folgt eine Zeit der politischen Krisen mit schwachen Herzögen, die nur kurz
herrschen. Erst die Herrschaft von Wilhelm dem Eroberer, dem uneheliche Sohn
Herzog Roberts von der Normandie, bringt dem Herzogtum wieder Frieden und
Sicherheit. Wilhelm errichtet im ganzen Land neue Burgen und Klöster. Außerdem sichert
er die Unabhängigkeit der Normandie durch einen Sieg über den französischen König
in der Schlacht von Mortemer (1054). Die Quellen beschreiben Wilhelm als
heldenhaften Krieger, als Musterbeispiel des tapferen Ritters. „Seit meiner
Kindheit wurde ich für die Waffen erzogen und bin über und über mit dem Blut
befleckt, das ich vergossen habe“, soll Wilhelm einmal ausgerufen haben. Sein
größter militärischer Erfolg ist sicherlich die Eroberung Englands im Jahr
1066.
Ritterliche Kultur und Liebe zum Krieg
Die Kriegsführung der Normannen hat
sich seit den Zeiten Rollos grundlegend geändert: Die adeligen Krieger unter
Wilhelm dem Eroberer kämpfen nun als schwer gepanzerte und bewaffnete Reiter,
als Ritter. Auf dem Teppich von Bayeux wird dieser Wandel besonders
offensichtlich: Die Erben der skandinavischen Piraten müssen 1066 vor der
Invasion Englands erst neue Schiffe bauen, offenbar gibt es in der Normandie
keine mehr. Doch das Rittertum ist mehr als nur eine neue Form der
Kriegsführung, es ist die Lebensweise des Adels. Ritter zu sein bedeutet, sein
ganzes Leben der Reitkunst, dem Schwertkampf und der höfischen Kultur zu widmen.
„Wer bis zu seinem zwölften Jahr in der Schule gesessen hat und niemals
geritten ist, taugt nur noch zum Priester.“, so sagt man sich in der Normandie im 11. Jahrhundert. Und tatsächlich sind
die normannischen Ritter wahre Meister ihres Faches, beseelt von einer Hingabe
zum Krieg, die ihresgleichen sucht. Hier liegt sicherlich ein Grund für die
erfolgreichen Eroberungen in Süditalien und im Heiligen Land.
Die
Nachfahren der Wikinger wissen auch im Jahr 1066 noch, wie man ein seetüchtiges
Schiff baut. Darstellung auf dem Teppich von Bayeux (Abbildung: Wikimedia Commons) |
Das religiöse Leben blüht
Für die ehemaligen heidnischen
Piraten aus Skandinavien ist der neue christliche Glaube kein bloßes
Lippenbekenntnis. Das Christentum wird vielmehr zum zentralen Kern des
normannischen Selbstverständnisses. Das religiöse Leben in der Normandie erlebt
ab 911 eine ungekannte Blüte. Am besten sichtbar wird der religiöse Aufschwung
an den Kirchenbauten, die schon bald überall in der Normandie in den Himmel
schießen. Die Herzöge der Normandie gründen überall im Land neue Klöster und
restaurieren alte Stifte. Aber auch die kleineren normannischen Adeligen sind
von einer tiefen Religiosität geleitet:
Die Barone der Normandie waren durch die Frömmigkeit ihrer Fürsten angeregt, es ihnen gleichzutun, und ermunterten sich gegenseitig, ähnliches zur Rettung ihrer Seelen zu unternehmen. Sie wetteiferten untereinander in guten Werken, und jeder wollte am großzügigsten Almosen verteilen, wie es ihrem Rang gemäß war. Jeder der Großen würde sich mehr als verächtlich gedünkt haben, hätte er nicht Kleriker und Mönche auf seinen Gütern im Dienste Gottes unterstützt. (Ordericus Vitalis, zit. nach Brown, S. 34)
Auch innerhalb der Klostermauern kommt es zu Neuerungen: Die normannischen Klöster
öffnen sich früh für die Reformbewegung, die vom Kloster Cluny aus in ganz
Europa die Missstände in den Klöstern anprangert und das Klosterleben mit neuer
Strenge und Frömmigkeit belebt. Besonders der Norditaliener Wilhelm von
Volpiano (gest. 1031) kümmert sich unermüdlich um die Reform der Klöster: Er
verbessert die Bildung der Mönche, organisiert die landwirtschaftliche Nutzung
von Klostergütern neu und befreit die Klöster aus dem Einfluss des weltlichen
Adels.
Die Westfront der Kathedrale von Bayeux (Abb.: Wikimedia Commons, Ndesmoul) |
Die zwölf Söhne Tankreds
Handel und Gewerbe boomen und die
Städte der Normandie wachsen – und mit ihnen die Bevölkerung. Doch während die
Erstgeborenen als Erben des Vaters dessen Besitz und Stellung einnehmen können,
bleibt für die nachgeborenen Söhne oft nur wenig übrig. Viele der jüngeren
Söhne treten deshalb als Mönche in eines der Klöster der Normandie ein. Nicht
für alle Normannen ist das Klosterleben jedoch eine wirklich aussichtsreiche Zukunft:
Viele junge normannische Adelige, die voller Tatendrang stecken, suchen ihr
Glück deshalb außerhalb der Normandie. Der Ehrgeiz dieser jungen Krieger trägt
sicherlich ebenfalls viel zum Erfolg der Normannen bei. Von den zwölf Söhnen
Tankreds von Hauteville, eines normannischen Adeligen, gehen zum Beispiel
insgesamt acht nach Süditalien – und steigen dort zu Grafen, Herzögen und
schließlich Königen auf. Ganz allgemein ist die Geschichte der Normannen eine
Geschichte der Verwandlung und des Aufstiegs: Aus heidnischen Piraten werden
christliche Ritter. Und aus dem normannischen Herzog Wilhelm dem Bastard wird
der englische König Wilhelm der Eroberer. Mit dem Jahr 1066 beginnt gleichzeitig
ein neues Kapitel in der Geschichte der Normandie, die nun eng mit England
verbunden ist.
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Literatur zu den Normannen in der Normandie
Brown, Richard Allen: Die Normannen. Aus dem Englischen übersetzt
von Harald Ehrhardt, München/Zürich 1988.
Houben, Hubtert: Die Normannen. München 2012.
Plassmann, Alheydis: Die Normannen. Erobern – Herrschen – Integrieren,
Stuttgart 2008.
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