Gar nicht süß: Killer-Hasen in mittelalterlichen Handschriften

Mittelalterliche Handschriften sind wirklich herrliche Quellen. Nicht nur, weil wir darin viel über das Leben mit Mittelalter e...

Mittelalterliche Handschriften sind wirklich herrliche Quellen. Nicht nur, weil wir darin viel über das Leben mit Mittelalter erfahren, sondern auch, weil die Texte oft mit wunderbar detailreichen Abbildungen verziert sind. Oft werden in den Bildchen an den Rändern der Texte witzige und phantasievolle kleine Geschichten erzählt.

Pünktlich zu Ostern habe ich die Abbildungen in mittelalterlichen Handschriften etwas genauer unter die Lupe genommen und eine erstaunliche Entdeckung gemacht: Die Hasen, vermeintlich friedfertige und ängstliche Tiere, entpuppen sich als blutrünstige Mörder! Dies ist die Geschichte von den mittelalterlichen Hasen, die die Schnauze voll hatten, sich bewaffneten und gegen ihre Feinde kämpften. Viel Spaß!

So kennt man Hasen eigentlich nicht: Mit einem Bogen bewaffnet macht dieser Hase Jagd auf einen Hund! (Abbildung: British Library, Royal 10 E IV, f. 57v.)
Hasen - das sind doch diese putzigen Tiere mit den langen Ohren, die furchtbar ängstlich sind und die lieber davon laufen, als sich der Gefahr zu stellen? Richtig - aber nicht im Mittelalter!

Im Mittelalter sah man Hasen vor allem als Symbole für Fruchtbarkeit und Unkeuschheit. Die Darstellung der Hasenjagd symbolisierte zudem die Jagd des Teufels nach den Seelen der Menschen: Der Hase stand dabei für den schwachen Menschen, der vor den Versuchungen des Bösen davonläuft und in der Kirche Schutz sucht.

Doch die vermeintlich süßen und ängstlichen Tiere haben ein dunkles Geheimnis!

Ein friedliebender Hase im Gras - süß! (Abbildung: British Library, Arundel 66, f. 44,.)

Hasen: Eine bedrohte Spezies in mittelalterlichen Handschriften!

Die Welt könnte ein so friedlicher Ort sein. Hasen knabbern friedlich am Grünzeug während eine Taube sich an der Schönheit der Blumen erfreut. Eine Szene wie direkt aus einem Walt Disney Film.

(Abbildung: British Library, Egerton 945, f. 237v.)
Doch leider war die Welt der mittelalterlichen Handschriften für Hasen kein so friedlicher Ort. Denn sie wurden gejagt. Von Menschen ...

(Abbildung: British Library, Royal 10 E IV, f. 41.)
(Abbildung: British Library, Yates Thompson 13, f. 68v.)
... und von Hunden.

(Abbildung: British Library, Yates Thompson 15, f. 20.)
Nicht mal während feierlichen Königskrönungen hatten die Hasen ihre Ruhe vor ihren Feinden.

(Abbildung: British Library, Additional 38116, f. 35.)
Dabei waren Hunde nicht die einzigen Jäger, vor denen die Hasen Angst haben mussten. Auch Raubvögel waren gefürchtete Feinde. Der Adler als Sieger über andere Tiere war ein beliebtes Motiv im Mittelalter. Auch hier mussten (neben Schlangen) vor allem Hasen dran glauben:

(Abbildung: British Library, Harley 6563, f. 7.)
Und manchmal taten sich Menschen und Füchse sogar zusammen und machten gemeinsame Jagd auf die Hasen.

(Abbildung: British Library, Royal 10 E IV, f. 48.)

Das Maß ist voll: Die Hasen schlagen zurück!

Irgendwann haben die Hasen dann die Nase voll. So kann es nicht weitergehen! Ein Plan muss her, damit die Hasen endlich in Frieden leben können. Die Hasen schmieden einen Plan ...

Der Chef-Stratege unter den Hasen gibt den Plan vor. (Abbildung: British Library, Royal 10 E IV, f. 40v.)
... und blasen zum Angriff. Die Hasen schlagen zurück!

(Abbildung: British Library, Royal 3 D VI, f. 234.)

Hase gegen Hund: Der Jäger wird zum Gejagten!

Doch weil die Hasen natürlich keine Erfahrung im bewaffneten Kampf haben, suchen sie sich als erstes ein leichtes Opfer. Ein Hund auf Pilgerreise kommt da ganz gelegen. Pilger waren im Mittelalter zwar durch eine Vielzahl an Gesetzen und Privilegien auf ihren Reisen vor Angriffen und Überfällen beschützt, doch die Hasen haben die Nase so voll, dass sie sich nicht darum scheren.

(Abbildung: British Library, Royal 10 E IV, f. 57v.)
Nach dem ersten erfolgreichen Überfall auf den Pilger haben die Hasen genug Mut, um es mit einem ernst zu nehmenden Gegner aufzunehmen: Einem ausgewachsenen Jagdhund! Auch der hat gegen die Bogenschützen keine Chance.

(Abbildung: British Library, Royal 10 E IV, f. 62.)
Schließlich kommt es zum ultimativen Showdown: Im Zweikampf stehen sich Hund und Hase gegenüber - bewaffnet mit Keule und Schwert.

(Abbildung: British Library, Yates Thompson 8, f. 171.)

Verkehrte Welt: Die Hunde als Diener der Hasen

Das Duell endet nicht gut für die Hunde: Sie unterliegen und müssen sich den Hasen unterwerfen. Fortan dienen sie den Hasen als Reittiere.

(Abbildung: British Library, Harley 324, f. 3v.)
Fröhlich reiten die Hasen durch's Land und posaunen ihren Sieg herum. So sehen stolze Sieger aus.

(Abbildung: British Library, Royal 14 C I, f. 30.)
Ein paar Hasen übertreiben es aber offenbar. Wollen wir hoffen, dass hier ein Brot im Ofen landet und kein Hund zum Braten verarbeitet wurde ...

(Abbildung: British Library, Lansdowne 451, f. 6.)
Von nun an stellen die Hund jedenfalls keine Bedrohung mehr dar. Die Hasen leben in Saus und Braus und lassen sich von den unterworfenen Hunden sogar bedienen:

(Abbildung: British Library, Additional 14761, f. 30v.)
Der Kontext dieser Szene ist besonders interessant: Die Abbildung vom Hund, der einen Hasen bedient, findet sich in einer jüdischen Handschrift direkt über einer Textpassage, die von der jüdischen Gefangenschaft in Ägypten berichtet. "Wir waren Sklaven des Pharaos", heißt es in dem Text. Auf der selben Seite ist eine Abbildung von Israeliten zu sehen, die unter der strengen Aufsicht ihrer ägyptischen Bewacher einen Turm errichten.

Ein Hund, der einen Hasen bedient ist also ebenso merkwürdig und verkehrt wie Israeliten, die als Sklaven des Pharao dienen. Zum Glück hat sich ja Moses bald diesem Missstand angenommen und die Israeliten ins Heilige Land geführt.

Die Darstellung des Hasen, der sich vom Hund bedienen lässt, fügt sich damit in die Motivtradition der sogenannten "verkehrten Welt" ein. In der normalen Welt waren Hasen feige und hilflose Opfer, deren einzige Waffe ihre Geschwindigkeit ist. Doch in der verkehrten Welt werden sie nun selbst zum Jäger.

Die Schreckensherrschaft der Hasen beginnt ... 

Unsere Hasen begnügen sich jedoch nicht damit, die Hunde zu ihren Dienern zu machen. Sogar vor Hinrichtungen schrecken sie bei ihrer Rache nicht zurück! Hier baumelt ein armer Hund an einem Baum am Strang:

(Abbildung: British Library, Royal 10 E IV, f. 64.)
Den Füchsen ergeht es kaum besser: Als Besiegte werden sie von Gänsen herumgezerrt. Ein Hase mit einer Keule überwacht die Szene:

(Abbildung: British Library, Royal 10 E IV, f. 49.)
Damit sind eigentlich alle Jäger besiegt und die Hasen könnten friedlich ihre neu gewonnene Freiheit genießen - möchte man meinen. Doch statt gelassen Möhren zu knabbern greifen die Hasen nach der Alleinherrschaft im Tierreich.

Aufmerksame Leser dieses Blogs werden wissen, dass es in mittelalterlichen Handschriften nur ein einziges Tier gibt, das sich den Herrschaftsansprüchen der Hasen noch entgegen stellen kann: Die Schnecke!

Schließlich nahmen es Schnecken in den Marginalien von Handschriften immer wieder mit voll bewaffneten Rittern auf. Und so kommt es zum unausweichlichen Duell:

Hase gegen Schnecke. Mit Schild und Lanze. Auf den Schultern von Affen. Selbstverständlich.

(Abbildung: British Library, Harley 4379, f. 23v.)

Das nächste Opfer der Hasen: Die Menschen!

Doch selbst die sonst so kämpferischen Schnecken haben den Hasen nichts entgegenzusetzen. Die Hasen eilen von Sieg zu Sieg und wenden sich schlussendlich auch gegen den Endgegner: Die Menschen. Dafür bedienen sie sich aller verfügbaren Bewaffnungen:

(Abbildung: British Library, Royal 10 E IV, f. 59.)
Egal ob Pfeil und Bogen oder Schwert - die Hasen kennen keine Gnade.

(Abbildung: British Library: Royal 10 E IV, f. 61v.)
Und so ereilt die Menschen das gleiche Schicksal wie bereits die Hunde: Sie landen am Galgen.

(Abbildung: British Library, Royal 10 E IV, f. 61.)
Die Hasen sind am Ziel ihrer Träume angelangt: Vorbei sind die Zeiten, in denen sie in Sorge vor Hunden, Füchsen oder anderen Jägern leben mussten. Mit brutaler Gewalt haben sie alle Gegner besiegt und sich zu den Herren der Welt gemacht.

Doch eine Welt voll bewaffneter und kampferprobter Hasen findet nicht so schnell Frieden. Und weil jeder Hase ein möglichst großes Stück an der neuen Herrschaft abbekommen will, kommt es, wie es kommen muss: Krieg zwischen den Hasen bricht aus.

(Abbildung: British Library, Royal 10 E IV, f. 70.)

Den Freunden des britischen Humors dürfte es inzwischen aufgefallen sein. In Kenntnis dieser neuen Erkenntnisse über die gewalttätige Seite der Hasen kann eigentlich nur noch ein Film für sich in Anspruch nehmen, ein authentisches Bild des Mittelalters zu zeichnen:




In diesem Sinne: Frohe Ostern!



Literatur & Links zu den Killer-Hasen in mittelalterlichen Handschriften

Marjolein de Vos: The Adventures of Medieval Bunny, Part I: The Killer Rabbit. Sexy Codicology, 27. Juli 2013.
Jon Kaneko-James: Why Are There Violent Rabbits In The Margin Of Medieval Manuscripts?
Schubert, Kurt: Wikkuach-Thematik in den Illustrationen hebraeischer Handschriften. In: Jewish Art 12/13 (1986/1987), S. 251-252.
Jászai, G.: Art. "Hase". In: Lexikon des Mittelalters. Vol. 4, Stuttgart 1977-1999, col. 1951-1952.

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6 Kommentare

  1. Meine Güte, waren diese Nagetiere gefährlich! Gegen einen Hasen hätte der heilige Georg antreten müssen, nicht nur gegen einen popeligen Drachen. Dann hätte er seinen Meister gefunden!

    Ich habe nach der Lektüre des Textes außerdem ein äußerst mulmiges Gefühl, was Ostern angeht. Was ist, wenn der Osterhase nur deswegen Eier versteckt, um mich besser aus dem Hinterhalt abmurksen zu können, während ich suchenderweise abgelenkt bin? Zuzutrauen wär's ihm...

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    1. Haha, stimmt! Dann wollen wir mal hoffen, dass wir morgen nicht alle beim Eiersuchen den fiesen Hasen in die Falle laufen ;)

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  2. Und da sag noch einer Hasen seien so süß! Ein wirklich guter Text. Vielleicht ein Grund warum Hasenbraten im Mittelalter so beliebt war? Quasi als kleine Rache?

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    1. Hmmm. Das wäre ein Gedanke. Beim heiligen Martin lief's ja ähnlich: Der wollte ja eigentlich lieber seine Ruhe haben, anstatt Bischof von Tours zu werden. Ergo versteckte er sich in einem Gänsestall, um seinen Fans zu entgehen. Die Gänse beschwerten sich jedoch lauthals über den Eindringling, Martin wurde gefunden und hatte nun kaum eine Wahl mehr.
      Als nunmehr bischöflicher heiliger Mann konnte er es dem verräterischen Federvieh allerdings nun nicht einfach persönlich heimzahlen. Wie sähe das denn aus?
      Also musste der Rest der Christenheit einspringen, weswegen alljährlich zu Martini Gänsebraten auf den Tisch kommt.

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  3. Sehr schön! Ich musste auch sofort an Monty Python denken ;-)

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    1. Habe mir Ritter der Kokosnuß gleich nochmal ansehen müssen als ich den Artikel geschrieben habe :D

      P.S. Fantastische Antike ist ein herausragender Blog! :)

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