Kulturgeschichte
Spätmittelalter
Jan van Eyck, ein Meister der Details
April 08, 2018
Jan van Eyck (1390–1441) galt schon zu Lebzeiten als „König unter den Malern“. Er war nicht nur einer der ersten Künstler, der Ölfarben verwendete, mit seinen realistischen Gemälden voller Details leitete er im 15. Jahrhundert auch eine neue Ära der Malerei ein.
Jan van Eycks Gemälde von 1434 stecken voller geheimer Hinweise, versteckter Anspielungen und liebevoller Details. So zum Beispiel auch dieses Porträt eines Paares, das heute unter dem Namen „Die Arnolfini-Hochzeit“ bekannt ist.
Wer die Chance hat, das Original in der National Gallery in London zu bestaunen, sollte sich auf jeden Fall ein paar Momente Zeit nehmen für dieses Meisterwerk. Was es auf dem Ölgemälde alles zu entdecken gibt, erfahrt ihr im heutigen Blog-Artikel!
Jan van Eycks Gemälde von 1434 stecken voller geheimer Hinweise, versteckter Anspielungen und liebevoller Details. So zum Beispiel auch dieses Porträt eines Paares, das heute unter dem Namen „Die Arnolfini-Hochzeit“ bekannt ist.
Wer die Chance hat, das Original in der National Gallery in London zu bestaunen, sollte sich auf jeden Fall ein paar Momente Zeit nehmen für dieses Meisterwerk. Was es auf dem Ölgemälde alles zu entdecken gibt, erfahrt ihr im heutigen Blog-Artikel!
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Wir haben es hier mit einem der komplexesten und einzigartigsten Gemälde der mittelalterlichen Kunst zu tun. Es steckt einerseits voller verborgener Symbole, zeigt andererseits aber auch sehr detailliert das authentische Lebensumfeld des Paares.
Allein das ist schon einzigartig für das 15. Jahrhundert. Dazu kommen beeindruckende Lichteffekte, eine kluge geometrische Anordnung der dargestellten Objekte und ein Spiegel, der dem Bild eine zusätzliche Tiefe verleiht.
Jan van Eyck (1390-1441): Ohne Titel, bekannt als "Die Arnolfini-Hochzeit" (1434), Öl auf Leinwand, National Gallery London. (Abbildung: Wikimedia Commons) |
Das Bild einer Eheschließung?
Schon die Frage nach dem Inhalt des Bildes wirft Fragen auf. Oft wird behauptet, dass es sich um das Bild einer Eheschließung handelt. Der Bräutigam hat seine rechte Hand zum Schwur gehoben, eine typische Geste bei einer Eheschließung.Die Holzschuhe im Vordergrund, sogenannte Pantinen, könnten ebenfalls ein Hinweis auf eine Eheschließung sein. Denn wenn ein Brautpaar das Sakrament der Ehe erhielten, galt der Boden, auf dem sie dabei standen als „heiliges Land“. Aus dem Alten Testament wussten die Menschen im Mittelalter, dass man einen solchen Ort nur ohne Schuhe betreten durfte. So zumindest argumentieren einige Kunsthistoriker.
Auch die Position der beiden Personen sagt etwas über ihre Beziehung zueinander aus: Der Mann steht am Fenster, denn er ist als Händler draußen in der Welt unterwegs. Seine Frau steht dagegen in der Mitte des Raumes, denn sie führt den heimischen Haushalt.
Sogar über den Rang der Ehepartner verrät das Bild ein wichtiges Detail: Es handelt sich um eine sogenannte „Ehe zur linken Hand“ – also um eine Ehe zwischen zwei Personen unterschiedlichen Standes. Der Ehemann, der den Betrachter des Bildes selbstbewusst anblickt, war wohl von höherem Stand als seine Ehefrau, denn er reicht seiner Gattin die linke Hand.
Doch die Interpretation als Bild einer Eheschließung ist auch stark kritisiert worden.
Kunsthistoriker haben sich sehr intensiv mit der genauen Haltung der Hände beschäftigt. Berühren sich die Hände das Paares nur oder liegen sie tatsächlich fest ineinander? Es sind diese kleinen Unterschiede, die aus einer Hochzeit eine Verlobung machen können. Der Kunsthistoriker Edwin Hall zum Beispiel argumentiert mit Nachdruck für Zweiteres.
Insgesamt gibt es gute Gründe, nicht zu vorschnell davon auszugehen, dass hier wirklich eine Hochzeit abgebildet ist. Die Wissenschaftlerin Margaret D. Carroll hat schon 1993 darauf hingewiesen, dass die Frisur der Frau mit dem Schleier traditionell eigentlich verheirateten Frauen vorbehalten war.
Wer ist das Paar?
Lange Zeit war man sich sicher, dass es sich bei den beiden Personen um Giovanni Arnolfini und seine Frau Giovanna Cenami handelt. Giovanni stammte aus einer Handelsfamilie aus Lucca, die mit Tuch handelte und Geschäftsbeziehungen nach Brügge pflegte.Doch die Hochzeit von Giovanni und Giovanna fand erst 1447 statt – also 14 Jahre nachdem das Gemälde entstand! Wer aufgepasst hat, wird außerdem gemerkt haben, dass die Hochzeit damit auch sechs Jahre nach dem Tod von Jan van Eyck stattfand. Sehr merkwürdig!
Zudem waren Giovanni Arnolfini und Giovanna Cenami von gleichem Rang, eine "Ehe zur linken Hand" kam für die beiden also eigentlich nicht in Frage.
Es gibt viele Spekulationen darüber, wer die beiden Personen sind. Glaubt man der Kunsthistorikerin Margaret Koster, dann handelt es sich um Giovanni di Nicolao und seiner erste Frau Costanza Trenta. Die starb aber bereits im Februar 1433, weshalb das Bild laut Koster einen lebenden Witwer und seine tote Frau zeigen könnte!
Koster kann einige versteckte Hinweise im Bild nennen, um ihre Theorie zu untermauern: Da wäre zum Beispiel die erloschene Kerze über der Frau oder die Darstellung vom Tode Christi hinter ihr. Tatsächlich sind rund um den Spiegel Szenen aus der Passion Christi abgebildet - auf der linken Seite, der des Mannes, zeigen die Bilder einen lebendigen Jesus, auf der Seite der Frau nur den toten. Auch die schwarze Kleidung des Mannes wird als Symbol für die verstorbene Ehefrau interpretiert.
War die Frau schwanger?
Für viele Betrachter wirkt es zudem so, als sei die Frau schwanger. Dazu passt, dass auf einer im Hintergrund sichtbaren Stuhllehne eine geschnitzte Figur der heiligen Margarethe zu sehen ist. Sie galt immerhin als Schutzpatronin werdender Mütter! Allerdings war die heilige Margarethe auch für Jungfrauen zuständig.Eine jungfräuliche Braut? Die geschnitzte Figur der heiligen Margarethe lässt es vermuten. (Abbildung: Wikimedia Commons) |
Die Wölbung des Bauches muss jedoch nicht unbedingt eine Schwangerschaft anzeigen. Vielmehr war das ein beliebtes Motiv um die Fruchtbarkeit von Frauen zu betonen. Die Reinheit der Ehefrau wird zudem durch den glasklaren Spiegel und die durchsichtigen Perlen der Gebetskette neben dem Spiegel betont.
Auch der besondere Schnitt des Kleides lässt den Bauch zusätzliche runder erscheinen. Das faltenreiche Kleid wurde durch sogenanntes „dagging“ hergestellt: Dabei wurde das Tuch des Kleides gefaltet und zusammengenäht um dann im Anschluss aufgeschnitten und drapiert zu werden.
Der Reichtum des Paares
Jan van Eyck hat eine ganze Reihe von Hinweisen auf den Reichtum des Paares in seinem Gemälde versteckt. Beide tragen Pelz, er Zobel, sie Hermelin. Sein Tappert aus Seide und der darunter getragene Seidendamast sind extrem kostbare Kleidungsstücke.Auch die Glasfenster aus sogenannten Butzenscheiben, die Orangenfrüchte und der Kronleuchter aus Messing mitsamt Kerzen fand man nur in den Häusern der vermögenden Oberschicht. Orientteppiche waren zu Beginn des 15. Jahrhunderts so wertvoll, dass man sie normalerweise nicht auf den Boden legte, sondern auf Tische!
Zitrusfrüchte waren im Spätmittelalter in Brügge Luxusartikel. (Abbildung: Wikimedia Commons) |
Der Kronleuchter hat übrigens eine ganz eigene Geschichte zu berichten: In einem Katalog über Kunstwerke im Kanton Zug in der Schweiz wird ein identischer spätgotischer Leuchter beschrieben.
Doch wie kam der Leuchter aus Brügge in die Schweiz?
Es ist gut möglich, dass er ein Teil der sogenannten „Burgunderbeute“ war. Das waren die Kostbarkeiten, die den Schweizer Eidgenossen nach ihrem Sieg über Herzog Karl den Kühnen von Burgund in der Schlacht bei Grandson zufiel. Neben der Artillerie der Burgunder, ihren Waffen und dem Prunkschwert Karls könnte auch der Leuchter ein Teil der Beute gewesen sein.
Der Kronleuchter beeindruckt durch seinen Detailreichtum. (Abbildung: Wikimedia Commons) |
Die einsame Kerze im Kronleuchter
Doch das ist nicht das einzige Geheimnis des Kronleuchters. Wer genauer hinsieht, bemerkt, dass nur eine einzige Kerze im Kronleuchter steckt. Diese einzelne Kerze kann als Symbol für Christus verstanden werden, der als Zeuge bei der Eheschließung anwesend ist. Eine große Kerze wurde bei Hochzeitszügen meist vor dem Brautpaar hergetragen – auch hier also wieder ein Indiz für eine Hochzeit?Hunde galten in der spätmittelalterlichen Kunst als Symbole der ehelichen Treue. So auch dieses süße Exemplar. (Abbildung: Wikimedia Commons) |
Hund: Eheliche Treue und Lust
Der kleine Hund, der zwischen den beiden Personen steht, ist ein spätmittelalterliches Symbol für eheliche Treue. Er kann aber auch als Symbol der Lust verstanden werden, dann drückt er den Kinderwunsch des Paares aus. Er ist zudem erneut ein Zeichen des Reichtums, denn ein Schoßhündchen konnten sich nur sehr reiche Damen leisten.Andererseits waren Hunde zu dieser Zeit in Flandern sehr in Mode. (Hall!)
Der Hund ist auch ein sehr bemerkenswertes Beispiel dafür, wie detailgetreu Jan van Eycks Gemälde ist. Denn der Künstler hat nicht einfach nur einen Hund gemalt, sondern eine sehr getreue Abbildung entweder eines Affenpinschers oder eines Belgischen Zwerggriffon. Ganz einig sind sich die Kunsthistoriker auch hier (noch) nicht. So viel zu detailverliebt!
Auch wenn man es auf den ersten Blick vermuten könnte: Hier handelt es sich nicht um Wladimir Putin. (Abbildung: Wikimedia Commons) |
Nicht nur hier nahm es Jan van Eyck sehr genau – sogar die Jahreszeit des Gemäldes können wir erkennen: Es ist Frühsommer. Dafür spricht etwa, dass der Kirschbau vor dem Fenster Früchte trägt. Auch der geflochtene und gefärbte Strohhut des Ehemannes war ein typisches Sommer-Outfit der damaligen Zeit.
Rund um den Spiegel ist in winzigen runden Bildern die Passion Christi dargestellt. (Abbildung: Wikimedia Commons) |
Die Personen im Spiegel
Der Spiegel an der Rückwand zeigt weitere Personen, die sich im Raum aufhalten. Entweder sind sie die Zeugen für die Eheschließung oder der Maler hat sich selbst beim Malen der Szene verewigt. Wenn dem so ist, dann ist Jan van Eyck wohl die Person in roter Kleidung, ebenso wie auf dem vermutlichen Selbstporträt.Jan van Eyck: Porträt des Mannes mit dem Turban (1433). Gilt als Selbstporträt des Malers. (Abbildung: The Yorck Projekt via Wikimedia Commons). |
Bei den Ausmaßen des Spiegels hat Jan van Eyck allerdings ein wenig übertrieben: Die Herstellung von Spiegeln in dieser Größe waren damals wohl technisch noch nicht möglich. Die Form des Spiegels ist dagegen typische mittelalterlich.
Der Maler hat sich noch durch ein zweites Detail im Gemälde verewigt: An der Rückwand des Zimmers befindet sich folgendes Graffiti: „Johannes de eyck fuit hit 1434“ – „Jan van Eyck war hier 1434“. Das Gemälde ist könnte damit fast so etwas wie ein förmliches Dokument der Eheschließung, die Jan van Eyck durch seine Anwesenheit und das daraus entstandene Ölbild bezeugt - falls es sich denn auch tatsächlich um die Darstellung einer Eheschließung handelt ...
Denn vielleicht stellt das Gemälde auch einen Vertrag zwischen einem bereits verheirateten Paar dar. Die erhobene rechte Hand des Ehemannes könnte dann einen Eid symbolisieren und die sich berührenden Hände ein Zeichen der Treue sein. Mit einem solchen Ritual könnte der Mann seiner Frau die Befugnis erteilen, als seine Vertreterin in Geschäftsfragen zu fungieren.
Der Meister der Details macht dem heutigen Betrachter eine Interpretation wirklich nicht gerade leicht.
Literatur und Links zu Jan van Eycks Arnolfini Porträt
Koster, Margaret: The Arnolfini Double Portrait: A Simple Solution, in: Apollo (September 2003), S. 3-14. Text ist hier online zugänglich.
Hall, Edwin: The Arnolfini Betrothal. Medieval Marriage and the Enigma of van Eyck's Double Portrait, Los Angeles 1994.
Harbisony, Craig: Sexuality and Social Standing in Jan van Eyck's Arnolfini Portrait. In: Renaissance Quarterly 43 (1990), Nr. 2, S. 249-291.
Bedaux, Jean-Baptist: The Reality of Symbols. The Question of Disguised Symbolism in Jan van Eyck's Arnolfini Portrait, in: Simiolus 16 (1986), S. 5-28.
OpenLearn: The Mystery of the Marriage - Transcript. Craig Harrison explains how new stories were found in the familiar painting of The Arnolfini Marriage. September 2005.
Carroll, Margaret D.: In the Name of God and Profit: Jan van Eyck's Arnolfini Portrait, in: Representations 44 (Autumn 1993), S. 100-101.
Haber, John: Portraits of a Marriage.
Carroll, Margaret D.: In the Name of God and Profit: Jan van Eyck's Arnolfini Portrait, in: Representations 44 (Autumn 1993), S. 100-101.
Haber, John: Portraits of a Marriage.
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