Richard Löwenherz und Saladin: Die Kunst der Diplomatie

Gemessen am großen Ziel – der Zurückeroberung Jerusalems – ist der Dritte Kreuzzug gescheitert. Denn den Kreuzfahrern gelang zwa...

Gemessen am großen Ziel – der Zurückeroberung Jerusalems – ist der Dritte Kreuzzug gescheitert. Denn den Kreuzfahrern gelang zwar die Eroberung von Akkon, doch über dieses Etappenziel kamen die Christen nicht hinaus. Der große Sturmangriff auf Jerusalem erfolgte nie. Es blieb bei Hinterhalten, Scharmützeln und kleineren Schlachten mit den Kriegern Sultan Saladins.

Was den Dritten Kreuzzug dafür umso interessanter macht, sind die Verhandlungen und Dialoge, die während des gesamten Kreuzzugs zwischen den verschiedenen Konfliktparteien stattfanden. Denn die Zeit der Kreuzzüge war alles andere als ein Aufeinandertreffen von „fremden“ Feinden, die sich gegenseitig als gesichtslose Halb-Wilde betrachteten. Vielmehr gab es intensive Kontakte und gegenseitige Gesandtschaften. Allianzen wurden geschlossen und Verhandlungen geführt.

Am spannendsten sind dabei sicherlich die diplomatischen Beziehungen zwischen König Richard Löwenherz und Sultan Saladin. Richard Löwenherz nutzte dabei sehr geschickt die ganze Klaviatur der subtilen Manipulation und legte ein diplomatisches Geschick an den Tag, das seinem Rivalen Saladin mindestens ebenbürtig war. Dabei ging es nicht nur um Verhandlungen: Durch diplomatische Gesandtschaften wollten Richard und Saladin sich gegenseitig auf den Zahn fühlen und nutzen dabei jede Gelegenheit zur Täuschung und Manipulation.

Der legendäre Zweikampf zwischen König Richard Löwenherz und Saladin vor Jaffa. In Realität begegneten sich die beiden Kontrahenten nie persönlich. (Abbildung: The Luttrell Psalter, entstanden 1325, British Library, MS 42130, fol. 82r.)

Langwieriger Auftakt zum Dritten Kreuzzug

Auslöser für den Dritten Kreuzzug war eine Nachricht, die im Herbst 1187 in Europa Bestürzung auslöste: Jerusalem war wieder in die Hände der Muslime gefallen! Sultan Saladin hatte die Stadt am 2. Oktober 1187 eingenommen, kurz davor auch noch ein Kreuzfahrerheer bei Hattin vernichtend geschlagen. Sogar das Wahre Kreuz, also das Kreuz, an dem Jesus selbst gekreuzigt wurde, hatte Saladin an sich gerissen. Die Kreuzfahrerherrschaft im Outremer stand damit kurz vor dem Zusammenbruch. Einzig Konrad von Montferrat hielt mit letzten Kräften die Stadt Tyros.

Schnell wurden Stimmen nach einem erneuten Kreuzzug laut. Papst Gregor VIII. antwortete auf die Hilferufe aus Palästina mit dem Aufruf zum Kreuzzug. Doch bevor ein gemeinsames Heer der Christen aufbrechen konnten, mussten die Herrscher von England und Frankreich erst einmal ihre Streitigkeiten untereinander beenden – oder zumindest vorerst auf Eis legen.

Das zog sich. Erst im Mai 1191 traf das Kreuzfahrerheer – angeführt von König Richard Löwenherz von England und König Philipp II. Augustus – in Palästina ein. Zu diesem Zeitpunkt war Kaiser Friedrich Barbarossa bereits verstorben, das von ihm auf dem Landweg über den Balkan und Kleinasien geführte Kreuzfahrerheer hatte größtenteils demoralisiert die Heimreise angetreten.

Karte der Levante um 1190 (Abbildung: Wikimedia Commons, Daelian)

Der Markt des Saladin 

Das erste Ziel der Kreuzritter war Akkon. Bereits seit August 1189 belagerte Guido von Lusignan, der König von Jerusalem, die Stadt, doch seinem Belagerungsheer saß inzwischen Saladins Heer im Nacken – die Belagerten wurden so selbst von den Muslimen umzingelt. Die Ankunft von Richard und Philipp änderte die Kräfteverhältnisse und Saladin war offen für Verhandlungen über das Schicksal Akkons.

Am 4. Juli empfing Saladin drei Gesandte Richards in seinem Lager. Der Sultan gab den Gesandten eine ausführliche Tour durch das Lager und zeigte ihnen auch die großen Märkte, die das muslimische Heer versorgten und in denen es sogar Warmwasserbadebecken gab. So sollten den Gesandten auf subtile Art und Weise der Eindruck vermittelt werden, wie hervorragend es um die Versorgung von Saladins Heer stand. Reine psychologische Kriegsführung: Nur acht Tage später übergab Saladin die Stadt den Kreuzrittern.

Aus den Berichten des arabischen Geschichtsschreibers Ibn Shaddad wissen wir, dass Saladin sich durchaus bewusst war, dass die Kreuzfahrer ihre Gesandten auch gerne nur unter einem Vorwand in das muslimische Lager schickten, um so die Moral des Gegners auszuspionieren. Saladins Männer ihrerseits versuchten dann, aus der Körperhaltung der Gesandten etwas über ihre Moral und ihr Selbstvertrauen herauszulesen.

Richards ausgefallene Wünsche 

Auch Richard Löwenherz nutzte die Mittel der Diplomatie, um seinen Gegner auszutesten. Dazu schickte Richard zum Beispiel Gesandte zu Saladin, die den Sultan um recht extravagante Geschenke baten. Der erste Wunsch Richards waren Vögel und Hühner, die als Futter für Richards Jagdvögel dienen sollten. Saladin kam der Bitte nach.

Mit seinem zweiten Wunsch stellte Richard seinen Rivalen gezielt auf die Probe: Er verlangte nach Früchten und Eis – das Saladin extra aus den libanesischen Bergen herbeibringen hätte müssen! Der Austausch von Geschenken war im Mittelalter auch immer Zeichen für den aktuellen Stand der Beziehungen zwischen zwei Herrschern. Richard nutzte seine Wünsche als eine Art Testballon, um zu sehen, wie weit er Saladin treiben konnte.

Als Richard Löwenherz im August 1192 erkrankte, bat er Saladin um Pfirsiche und Pflaumen, die der Sultan ihm auch prompt zuschickte. Dabei nutzte Saladin die Überbringer seines Geschenkes auch gleich als Spione, die Informationen über die Situation in Richards Lager auskundschaften sollen. Auch Saladin verstand sich auf die Ränkespiele der Diplomatie!

König Philipp II. Augustus von Frankreich trifft per Schiff in Palästina ein (Abbildung: BritishLibrary, Royal 16 G VI, f. 350v.)

Ein Friedensangebot mit doppeltem Boden

Nach der Übergabe von Akkon kam es zu Rangstreitigkeiten zwischen Richard Löwenherz und Herzog Leopold V. von Österreich, die für Richard später noch ziemlich ärgerliche Konsequenzen haben sollten. Vorerst hatte Richard aber noch ganz andere Sorgen: Nachdem König Philipp II. am 31. Juli 1191 wieder nach Frankreich zurückgekehrt war, lag die Verantwortung für den Erfolg des Dritten Kreuzzugs komplett in Richards Händen.

Große Handlungsfreiheit hatte Richard freilich nicht: Er zog mit seinem Heer an der Küste entlang nach Süden – rechts von ihm das Meer, links das ihn begleitende Heer Saladins. Immer wieder bat Richard um ein persönliches Treffen mit Saladin, doch der Sultan lehnte stets ab. Saladins Argument: Herrscher könnten sich nicht persönlich treffen bevor eine Einigung erzielt wurde! Deshalb sprang Saladins Bruder al-Adil als Repräsentant ein und traf sich mehrfach persönlich mit Richard Löwenherz.

Am Abend des 4. Septembers 1191 machten in Richards Heer Gerüchte die Runde, dass ein Angriff durch Saladin unmittelbar bevorstehe. Auf dem Weg durch den Wald von Arsuf sollte ein Hinterhalt Saladins drohen. Gesandte Richards nahmen daraufhin mit Saladins Vorhut Kontakt auf und baten um eine Unterredung – um Frieden zu schließen. Das machte Saladin neugierig. Sein Bruder al-Adil sollte als Unterhändler in die Verhandlung gehen und diese so lange hinauszögern, bis Saladins Hauptheer in Schlagdistanz war.

Am nächsten Morgen trafen sich al-Adil und Richard, doch Richard wirft offenbar jede Form diplomatischer Zurückhaltung über Bord und verlangt erst einmal die vollständige Kapitulation der Muslime und die Rückgabe aller von ihnen eroberten Gebieten. Frech! Selbstverständlich ließ al-Adil die Verhandlungen sofort platzen.

Richard Löwenherz gab sogleich den Befehl, das Heer in Kampfbereitschaft zu versetzen. Die Truppen Saladins erwischte er damit auf dem vollkommen falschen Fuß. Saladins Vorhut geriet in Unordnung, das Hauptheer war zu weit entfernt und Richard Kreuzfahrer konnte den Wald sicher durchqueren. Am 7. September 1191 kam es dann doch zum Aufeinandertreffen der Heere. In der Schlacht von Arsuf besiegten die Kreuzfahrer das Heer Saladins.

Saladins Diplomatie der Spaltung

Auch Saladin wusste, wie er die Diplomatie zur Täuschung und Manipulation einsetzen konnte. Dabei setzte er an einer wohlbekannten Schwachstelle der Kreuzfahrer an: Zwischen den einzelnen Fürsten und ihren Truppen herrschten latente Spannungen und Konflikte. Das hatten nicht zuletzt die Rangstreitigkeiten zwischen Richard Löwenherz und Herzog Leopold nach dem Fall Akkons gezeigt.

Auch zwischen Richard und Konrad von Montferrat brodelte es. Denn obwohl sich Richard als Anführer der Kreuzritter verstand, gab es mit dem tatkräftigen und erfolgreichen Konrad noch einen weiteren Fürsten, der die Führung des Kreuzzugs und die Krone des Königreichs Jerusalems für sich beanspruchte. Konrad hatte seine Qualitäten in den vorausgehenden Jahren oft unter Beweis gestellt, nicht zuletzt durch die erfolgreiche Verteidigung von Tyrus gegen Saladin im Winter 1187/88.

Laut dem arabischen Geschichtsschreibers Ibn Shaddad trafen Konrads Gesandte im Oktober 1191 im Lager Saladins ein und unterbrachten ein Friedensangebot, das Konrad die Herrschaft über einen Landstrich an der Küste nördlich von Jerusalem zugesichert hätte. Saladin nahm das nur zu gerne als Anlass, um Konrad darin zu bestärken, sich stärker gegen Richard zu behaupten. Er ermutigte Konrad sogar, die von Richard gehaltene Stadt Akkon anzugreifen.

Saladins Hoffnung: Krieg zwischen Konrad und Richard Löwenherz – oder zumindest Misstrauen zwischen ihnen. Auch deshalb empfing Saladin am 5. November 1191 den Gesandten Konrads, Raynald von Sidon, offen und mit allen gastfreundlichen Ehren im muslimischen Lager. Am 9. November erhielt der Gesandte sogar eine persönliche Audienz mit Saladin – im Gegensatz zu Richard! Raynald und al-Adil ritten anschließend gemeinsam aus, um Richards Truppen zu beobachten. Der Anblick der beiden sorgte sicherlich für Stirnrunzeln unter Richards Männern.

Eine Heiratsallianz zwischen Richard Löwenherz und al-Adil?

Doch auch Richard war nicht untätig. Knapp zwei Monate nach dem Zwischenfall vor dem Wald von Arsuf kam es zu einem weiteren diplomatischen Austausch zwischen Richard Löwenherz und al-Adil. Am 21. Oktober 1191 schlug Richard ein überraschendes Heiratsbündnis vor: Seine eigene Schwester Joanne sollte al-Adil heiraten und nach einem Friedensvertrag sollte das Paar die gemeinsame Herrschaft über Palästina ausüben.

Das war ein mehr als kühner Vorschlag Richards. Zwar waren Heiratsbündnisse ein probates Mittel der mittelalterlichen Politik, doch ein Bündnis zwischen einer christlichen Adelstochter und einem muslimischen Herrscher war ohne Beispiel. Auch politisch wären die Bestimmungen kaum durchsetzbar gewesen: Die Heirat hätte al-Adil zu einem mächtigen Herrscher gemacht, was die Stabilität in Saladins Herrschaftsbereich sicherlich massiv beschädigt hätte.

Fraglich also, ob Richard die ganze Sache als ernsthafte Lösung auf Frieden betrachtete – oder nicht eher als diplomatisches Manöver, um Misstrauen zwischen Saladin und seinem Bruder zu sähen!

Denn Saladins Sohn, der damals 21-jährige al-Adfal, konnte als Militär und Herrscher seinem Onkel ad-Adil kaum das Wasser reichen. Aus einer starken Machtposition heraus hätte al-Adil zu einem ernsthaften Bewerber um Saladins Nachfolge werden können – der interne Konflikt hätte den Kreuzfahrern sicherlich genutzt.

Die Kontrahenten: Links Saladin mit seinen Rittern, rechts von der Brücke Richard Löwenherz mit seinen Truppen. (Abbildung: BibliothèqueNationale de France, ParisFr. MS. 12559, fol 127r.)

Richards Retourkutsche

Wir erkennen hier gut eine Parallele zu Saladins Diplomatie der Spaltung: Richard versuchte geschickt, Zwietracht und Misstrauen zwischen Saladin und al-Adil zu sähen um so seine Kontrahenten zu schwächen.

Kurz nach seinen Gesprächen mit al-Adil über ein Heiratsbündnis schickte Richard seinen Gesandten Humphrey von Toron zu Saladin und bat darum, dass der Sultan das Land an der palästinensischen Küste neu aufteile zwischen al-Adil und Richard. Einerseits umschmeichelte Richard Löwenherz seinen Rivalen Saladin mit dieser Bitte, denn sie bedeutete ja, dass Richard die Autorität des Sultans anerkannte, über das Land zu bestimmen und als „ehrlicher Makler“ zu fungieren.

Gleichzeitig ließ Richard Löwenherz den bestehenden Konflikt so erscheinen, als wäre es die Auseinandersetzung zwischen Richard und al-Adil während Saladin in der Position des neutralen Richters scheint. So erschien al-Adil plötzlich neben Richard als potentieller Rivale Saladins, der sich eine eigene Herrschaft in Palästina aufbauen will.

Richard beschränkte seine Diplomatie der Spaltung nicht alleine auf Saladins Verhältnis zu seinem Bruder al-Adil. Auch Saladins Berater Saif al-Din al-Mashtub versuchte Richard vom Sultan zu entfremden. Die Möglichkeit dazu bot sich Richard Löwenherz, weil er al-Mashtub nach der Eroberung Akkons bis April 1192 als Geisel hielt. Erst dann ließ er ihn gegen ein Lösegeld frei. Auch danach hielt Richard Kontakt zu al-Mashtub.

Das Verlag von Ramla und das Ende des Dritten Kreuzzugs

Saladins Berater al-Mashtub spielte auch beim Abkommen von Ramla eine wichtige Rolle. Richard hatte zwar in der Schlacht von Arsuf über Saladins Hauptheer triumphiert, doch blieb dies der einzige größere militärische Erfolg. Auch die zahlreichen diplomatischen Winkelzüge konnten die Situation nicht entscheidend für eine Seite beeinflussen.

Richard wagte zwei Vormärsche auf Jerusalem doch sowohl im Winter 1191/92 als auch im Juni 1192 wagte er es nicht, die Stadt tatsächlich zu belagern. Neben dem ausbleibenden militärischen Erfolg in Outremer geriet Richard in der Heimat unter Druck: Sein Bruder Johann beanspruchte den englischen Thron für sich und Philipp II. griff englische Besitzungen in Frankreich an. Richard musste den Kreuzzug möglichst schnell zu einem Ende bringen.

Der Vertrag von Ramla vom 2. September 1192 zwischen Richard Löwenherz und Sultan Saladin legte die Bestimmungen für das Ende des Dritten Kreuzzugs fest: Jerusalem blieb in den Händen Saladins, dafür erhalten christliche Pilger freien Zugang zum Heiligen Grab. Die Kreuzfahrer behalten einen schmalen Streifen Küste zwischen Jaffa und Tyrus und alle Seiten halten einen dreijährigen Waffenstillstand ein. Auch das Ende des Dritten Kreuzzuges

Literatur zu Richard Löwenherz und Saladin

Asbridge, Thomas: Talking to the enemy: the role and purpose of negotiations between Saladin and Richard the Lionheart during the Third Crusade, in: Journal of Medieval History 39:3 (2013), S. 275-296.

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