Heinrich der Zänker: Griff nach der Krone

Als Kaiser Otto III. am 24. Januar 1002 starb, war er noch keine 22 Jahre alt. Doch trotz seines jugendlichen Alters war Ottos L...

Als Kaiser Otto III. am 24. Januar 1002 starb, war er noch keine 22 Jahre alt. Doch trotz seines jugendlichen Alters war Ottos Leben unglaublich ereignisreich. Bereits als Dreijähriger war er an Weihnachten 983 zum römisch-deutschen König gekrönt worden. Nur wenige Wochen zuvor war sein Vater, Kaiser Otto II., in Italien verstorben. Ab 996 war er dann auch römischer Kaiser.

Ein unmündiges Kind auf dem Thron stellte eine besondere Herausforderung für die Großen im Reich dar. Verschärfend kam hinzu, dass Otto II. kein gefestigtes Reich hinterließ, sondern eine ganze Reihe an Krisenherden brodelten. Das kam dem abgesetzten Herzog Heinrich dem Zänker nur gelegen - denn er hatte mit der Königsfamilie noch eine Rechnung offen!

Ganz so fromm, wie er hier daherkommt war Herzog Heinrich der Zänker nicht. Die ottonischen Herrscher Otto II. und Otto III. mussten das am eigenen Leib erfahren. (Abbildung: Staatsbibliothek Bamberg, Msc.Lit.142, Regelbuch aus dem Niedermünster in Regensburg, entstanden um 990, fol. 4v. Foto: Gerald Raab.)

Ein Reich in der Krise

Das letzte Lebensjahr Kaiser Ottos II. verlief eher ruppig. Als am 13. Juli 982 ein deutsches Heer in der Schlacht bei Crotone in Süditalien gegen die Sarazenen unterlag, musste der Kaiser unter abenteuerlichen Umständen in Verkleidung fliehen. Seit den Einfällen der Ungarn zu Beginn des Jahrhunderts hatten nicht mehr so viele weltliche und geistliche Große ihr Leben auf einem Schlachtfeld gelassen.

Das hatte für Rumoren im Reich gesorgt und Kaiser Otto II. musste sich an Pfingsten 983 auf einem Hoftag in Verona vor den Fürsten seines Reiches rechtfertigen. Laut dem Geschichtsschreiber Thietmar von Merseburg hatten die wichtigsten Adeligen vehement danach verlangt, ihren Kaiser zu sprechen, um die Weichen für die Zukunft zu stellen und die Herzogtümer von Bayern und Schwaben neu zu besetzen.

Der Kaiser nutzte die Verhandlungen auf dem Hoftag auch, um seine eigene Nachfolge zu regeln: In der einzigen deutschen Königswahl südlich der Alpen ließ er seinen Sohn von den Großen zu seinem Nachfolger designieren. Doch lange konnte sich der Kaiser darüber nicht freuen: Im Sommer 983 brach östlich der Elbe ein Aufstand der Slawen aus. Die Bistümer Brandenburg und Havelberg wurden zerstört - mit ihnen auch die Erfolge der ottonischen Missionspolitik in dieser Region.

Als Kaiser Otto II. im Herbst nach Rom reiste, um dort die Nachfolge für den kürzlich verstorbenen Papst Benedikt VII. zu regeln, verstarb er dann völlig unerwartet im Alter von nur 28 Jahren. Otto II. wurde in Rom in St. Peter bestattet - als einziger deutscher Herrscher. Mit einem Schlag ruhten die Krone und die Zukunft des Reiches auf den Schultern seines dreijährigen Sohnes.

Das Reich um das Jahr 1000 mit dem Herzogtum Bayern, dessen Herzog Heinrich der Zänker war. (Abbildung: Wikimedia Commons, Sémhur.)

Nomen est omen: Die Bedrohung durch Heinrich den Zänker

Der eher unkoordinierte und spontane Herrschaftsübergang auf Otto III. rief jemanden auf den Plan, mit dem bereits Kaiser Otto II. seine liebe Not hatte: Heinrich den Zänker aus dem Adelsgeschlecht der Liudolfinger, einer bayerischen Nebenlinie der Ottonen. Heinrich war ab 955 Herzog von Bayern und geriet ab 974 mehrfach in bewaffnete Auseinandersetzungen mit dem Kaiser. Schließlich verlor Heinrich sein Herzogtum und wurde bei Bischof Folcmar von Utrecht inhaftiert.

Verträge galten im Mittelalter nur inter vivos, also zwischen Lebenden. Damit war Heinrich der Zänker kein "Staatsgefangener" oder etwas in dieser Art, sondern ein persönlicher Gefangener des Kaisers - und mit dem Tod des Kaisers wieder ein freier Mann.

Schnurstracks machte sich Heinrich auf den Weg zu Otto III. und ließ sich den in Köln unter der Obhut des Erzbischofs Warin weilenden kindlichen König aushändigen. Sein Argument: Er war der nächste Verwandte Ottos im Reich - denn Großmutter, Mutter und Tante als dominae imperiales des jungen Königs waren alle noch in Italien. Laut Thietmar von Merseburg gingen die Zeitgenossen damals noch davon aus, dass Heinrichs lediglich die Vormundschaft für den unmündigen König anstrebte.

Doch Heinrichs nächste Schritte ließen bald anderes Vermuten: Er nahm Kontakt zum westfränkischen König Lothar (954-986) auf mit dem Ziel, ein Freundschaftsbündnis auszuhandeln. Dafür wollte Heinrich im Gegenzug sogar ganz Lothringen an Lothar abtreten. Gerbert von Aurillac erkannte in einem Brief im Januar 984 darin bereits ein Verhalten Heinrichs, das weit über eine Vormundschaft hinausging.

Doch die Hoffnungen Heinrichs des Zänkers auf Absicherung seiner Position durch ein Bündnis mit König Lothar erfüllten sich nicht: Lothar meldete vielmehr nun selbst Ansprüche auf die Übernahme der Vormundschaft an - auch er war im gleichen Grad mit Otto III. verwandt wie Heinrich! Der Zänker ließ daraufhin das geplante Treffen mit Lothar platzen und zog weiter nach Sachsen.

Die Quedlinburger Annalen sind eine wichtige Quelle zum Konflikt zwischen Heinrich dem Zänker und dem jungen Otto III. (Abbildung: SLUB Dresden, Chronicon Quedlenburgense ab initio mundi per aetates, usque ad Annum 1025 - Mscr.Dresd.Q.133,Nr.4, Blatt 19.)

Eines Herrschers unwürdig?

Die Position Heinrichs des Zänkers blieb weiterhin prekär. Zwar hatte er das gekrönte Oberhaupt des Reiches unter seiner Kontrolle, doch von einer gesicherten Herrschaft war er weit entfernt. Eine positive Außendarstellung hätte ihm da sicher nicht geschadet. Doch in einer entscheidenden Situation machte Heinrich jetzt laut Thietmar von Merseburg alles falsch.

Was war passiert?

Laut Thietmar baten die beiden sächsischen Grafen Dietrich und Siegbert barfüßig um die Verzeihung Heinrichs und unterzogen sich damit einem Unterwerfungsritual mit ungeschriebenen Regeln, die jeder Anwesende kannte. Und genau mit diesen Regeln brach Heinrich: Er verwehrte den beiden Grafen die Vergebung!

Über Heinrichs Motivation lässt sich heute nur noch spekulieren. Vielleicht wollten die Grafen ihn ohne vorherige Absprache mit ihrem Unterwerfungsritual vor vollendete Tatsachen stellen? Denn normalerweise gingen solchen öffentlichkeitswirksam inszenierten Ritualen sehr genaue Verhandlungen über den exakten Ablauf und die Bedingungen voraus.

Die Grafen mobilisierten nun ihre Verwandten und Freunde gegen Heinrich den Zänker. Doch das war nicht Heinrichs größte Sorge. Mit seinem Verhalten hatte er eine Chance verpasst, demonstrativ seine clementia, also seine Milde, unter Beweis zu stellen. Normalerweise ließen Könige im 10. Jahrhundert keine Gelegenheit aus, um ihre Bereitschaft zur Versöhnung unter Beweis zu stellen - denn clementia galt als eine der wichtigsten Herrschaftstugenden.

Was Thietmar von Merseburg hier also schilderte, ist ein Bericht über die offenkundige Unfähigkeit Heinrichs zur Herrschaft. Denn wie sollte jemand als König herrschen, der die anerkannten Regeln zur Beilegung von Konflikten nicht achtet und die Herrschertugend der Milde nicht verkörpert?!

Heinrich der Zänker in voller Pracht. (Abbildung: Staatsbibliothek Bamberg, Msc.Lit.142, Regelbuch aus dem Niedermünster in Regensburg, entstanden um 990, fol. 4v. Foto: Gerald Raab.)

Heinrich der Zänker auf der Suche nach Ausgleich

Trotz dieser von Thietmar überlieferten Episode war Heinrichs Stellung in Sachsen offenbar relativ anerkannt. Er besuchte ungehindert die wichtigsten Orte der Region und Nutzte die Kirchenfeste, um sich selbst als Herrscher darzustellen. So ließ er sich etwa zu Ostern 984 in Quedlinburg beim Einzug in die Stadt wie ein König begrüßen. Auch während eines Aufenthalts in seinem ehemaligen Herzogtum Bayern fand Heinrich die Anerkennung aller Bischöfe und einiger Grafen.

Gleichzeitig formierten sich auf der Asselburg die Gegner Heinrichs. In einer Schwurgemeinschaft (coniuratio) vereint, wollten sie die Königsherrschaft Heinrichs verhindern. Zu den Teilnehmern zählten unter anderem Herzog Bernhard von Sachsen, sowie Bernward, der spätere Bischof von Hildesheim. Heinrich reagierte darauf mit einer Mischung aus militärischen Drohungen und der Bereitschaft zu Verhandlungen.

Erste Verhandlungen in Bürstadt bei Worms scheiterten noch. Die Vertreter der Fürsten wollten keinesfalls auf die Thronfolge Ottos III. verzichten. Heinrich steckte damit in der Sackgasse zwischen einem Verzicht und dem bewaffneten Kampf um die Krone.

Auf dem Hoftag im thüringischen Rohr gelang am 29. Juni 984 dann der Durchbruch. Heinrich gab den kleinen Otto an seine Mutter zurück und demonstrierte damit, dass er seine Ansprüche auf die Thronfolge zurückzog. Heinrich ließ sich seinen Verzicht reich belohnen: Er wurde ab 985 wieder als Herzog von Bayern eingesetzt. Auch wenn keine Informationen über die Verhandlungen überliefert sind, können wir davon ausgehen, dass Heinrichs Verzicht ein wohldurchdachter Kompromiss war.

Der Burgberg von Quedlinburg mit dem Stift in seiner heutigen Form. (Abbildung: Wikimedia Commons, Wolkenkratzer.)

Die Veröffentlichung des Friedens

Im Anschluss an die erzielte Einigung wurde der wiedergefundene Frieden zwischen Heinrich dem Zänker und den Anhängern König Ottos III. durch eine Reihe von rituellen und zeremoniellen Handlungen immer wieder öffentlich dargestellt.

Thietmar von Merseburg berichtet zum Beispiel, dass Heinrich der Zänker am Osterfest 985 dem jungen König in Quedlinburg als Truchsess diente. Damit demonstrierte Heinrich genau an dem Ort, an dem er sich noch im Vorjahr als König hatte empfangen lassen, dass er die neue Situation anerkannte und achten wollte und bereit war, seinem König zu dienen.

Mit der Übergabe Ottos III. in die Arme seiner Mutter Theophanu endeten die Auseinandersetzungen um den Thron und es begann die Zeit der Regentschaft der Kaiserinnen Theophanu und Adelheid. Ab seiner Schwertleite übernahm Otto III. dann wohl aber Herbst 994 die selbständige Regierung.

Kaiser Otto III. auf seinem Thron mit Krone, Adlerszepter des Augustus und der Sphaira. (Abbildung: Bayerische Staatsbibliothek, Clm 4453, Evangeliar Ottos III., entstanden um 1000, fol. 24r).

Der Thronstreit und das mittelalterliche Verständnis von Politik

Für Gerd Althoff offenbaren sich im Rahmen des Thronstreits um die Nachfolge Ottos II. einige wichtige Wesenszüge der Politik im Mittelalter.

So betont Althoff das für heutige Verhältnisse ungewöhnliche Rechtsbewusstsein im "Personenverbandsstaat": Die Haft Heinrichs endete mit dem Tod des Herrschers und Heinrich konnte trotz allem sofort aufgrund seiner Verwandtschaft Ansprüche an Teilhabe an der Herrschaft beanspruchen.

Der Versuch der Herrschaftsübernahme durch Heinrich wurde von den Zeitgenossen zudem nicht als eine Verletzung des Rechtsbewusstseins der Zeit wahrgenommen. Schließlich erlaubte der in Rohr gefundene Kompromiss dem abgesetzten Herzog die problemlose Rückkehr in seine vorherige Position und damit auch in seinen vormaligen Rang zwischen den Großen des Reiches.

Auch die Methoden mittelalterlicher Konfliktaustragung treten markant hervor: Alle Beteiligten nutzten eine Mischung aus militärischen Drohungen und wiederkehrenden Verhandlungsangeboten und vermieden dabei jede kriegerische Eskalation des Streits. Stets erschien allen Beteiligten die Rückkehr an den Verhandlungstisch aussichtsreicher als rücksichtslose Gewaltanwendung. Zu groß war die Gefahr, entweder selbst im Kampf zu sterben oder wertvolle Ressourcen zu verlieren und so langfristig massiv geschädigt zu werden.

Die Bedeutung von Ritualen und symbolischen Handlungen in der Politik im Frühmittelalter kann kaum überbewertet werden. Jede politische Forderung oder Vereinbarung wurde so öffentlich kommuniziert. Während die Verhandlungen im Vorfeld vertraulich abliefen und auch keinen Niederschlag in den Quellen fanden, wurden die gefundenen Einigungen im Anschluss in großen Inszenierungen zelebriert.

Literatur zu Heinrich dem Zänker

Althoff, Gerd: Otto III. Darmstadt 1996.

Noch mehr Interessantes aus dem Mittelalter:

0 Kommentare