Die Hausaufgaben eines Jungen aus dem Mittelalter

Im Laufe des Mittelalters wurden abertausende Bücher und Texte geschrieben. Heute erhalten sind meistens nur noch die wirklich h...

Im Laufe des Mittelalters wurden abertausende Bücher und Texte geschrieben. Heute erhalten sind meistens nur noch die wirklich herausragenden Werke: Die Prachthandschriften, die Texte bedeutender Gelehrter und die Herrscherurkunden, die in Klöstern oder Archiven die Zeiten überdauert haben.

Doch manchmal haben sich auch ganz unwichtige Texte erhalten. Zu den kuriosesten Werken des Mittelalters zählen sicherlich die Zeichnungen und Texte eines Jungen namens Onfim, der im 13. Jahrhundert in Nowgorod im heutigen Russland lebte.

Ein Schulbuch aus Birkenrinde - so machte Onfim seine Hausaufgaben. (Abbildung: http://gramoty.ru/index.php?act=full&id=203)

Onfim war wohl sechs oder sieben Jahre alt, als er die Birkenrindenstücke bemalte. Er schrieb im Altnowgoroder Dialekt, einer altrussischen Sprache, die in der Region um Nowgorod damals gesprochen wurde. Onfim nutzte die Birkenrinde, um sich Notizen zu machen und seine Hausaufgaben zu erledigen.

In der Region um Nowgorod war es üblich, die Rinde von Birken als Schreibunterlage zu verwenden. Denn die Gegend war reich an Birkenwäldern und die Rinde der Bäume lässt sich leicht einritzen.
Onfim verwendete die Birkenrinde, um kleine Schreibübungen zu erledigen. Er schrieb Reihen von einzelnen Buchstaben und Silben. Manchmal ließ er seiner Kreativität auch freien Raum: Dann malte er kämpfende Krieger, sich selbst und seinen Lehrer.

Von Onfim sind insgesamt 17 beschriftete und bemalte Birkenrindenstücke erhalten. Die meisten davon zeigen Zeichnungen, doch auch ganze Sätze aus dem Buch der Psalme musste Onfim als Hausaufgaben offenbar abschreiben.

Erst die Arbeit, dann das Vergnügen: Die linke Tafel enthält Schreibübungen, die rechte ist eine Zeichnung eines Monsters (Abbildung: http://gramoty.ru/index.php?act=full&id=203)

Auch Onfim träumte davon, eines Tages ein mächtiger Krieger zu sein: Hier zeichnete er sich selbst als berittener Kämpfer, der einen Feind zur Strecke bringt. (Abbildung: http://gramoty.ru/index.php?act=full&id=204)

Oft sind die Birkenrindenstücke gar nicht so leicht zu lesen. Hier kämpft ein Krieger gegen ein Monster. (Abbildung: http://gramoty.ru/index.php?act=full&id=207)


Insgesamt wurden inzwischen mehr als 1000 Birkenrindenstücke aus dem Mittelalter gefunden. Denn in dem Tonboden von Nowgorod haben sich die Rindenstücke besonders gut erhalten. Hier lagen sie jahrhundertelang sicher vor Wasser und Luft. Gleichzeitig ist die große Zahl an erhaltenen Birkenrindenstücken auch ein Indiz dafür, dass im mittelalterlichen Nowgorod offenbar sehr viele Menschen Lesen und Schreiben konnten.

Onfim nutzte jeden freien Platz neben seinen Hausaufgaben für kleine Zeichnungen. (Abbildung: http://gramoty.ru/index.php?act=full&id=206)


Buchstabe für Buchstabe ritzte Onfim seine Schreibübungen in dieses Stück Birkenrinde. (Abbildung: http://gramoty.ru/index.php?act=full&id=211)

Diese Birkenrindenstücke sind besonders faszinierende Quellen, weil sie nicht von Herrschern oder Mönchen beschrieben wurden, sondern von ganz normalen Menschen. Wir erhalten hier einzigartige Einblicke in das Alltagsleben des Mittelalters.

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