Karl der Große
Kulturgeschichte
Kurioses
Automaten und Roboter im Mittelalter
Dezember 07, 2016
Roboter sind heute aus Industrie und Medizin kaum noch
wegzudenken. Tatsächlich sind die Maschinen inzwischen so ausgereift, dass sich
Forscher schon mit der emotionalen Ebene der Roboter-Mensch-Beziehung auseinandersetzen. Einen
ersten Höhepunkt erlebte der Bau von Automaten bereits in der Antike. Damals
schufen Erfinder zum Beispiel windangetriebene Orgeln und träumten von
mechanischen Vögeln. Ihren wahren Siegeszug begannen die Roboter und Automaten
dann im 18. Jahrhundert als zum Beispiel der sogenannte „Schachtürke“ in ganz
Europa Aufsehen erregte. Doch auch im Mittelalter gab es in Europa ausgefeilte
Automaten, Maschinen und Roboter.
Die Natur schmiedet neue Menschen aus Körperteilen. Roman de la Rose, Frankreich, 15. Jahrhundert (Abbildung: Yale University, MS 418, fol. 282v.) |
Automaten als Geschenke: Karl der Große und die Wasseruhr
Die ersten Automaten erreichten das mittelalterliche Europa
im 9. Jahrhundert als Geschenke aus dem Orient. Denn dort hatte sich das antike
Wissen über Mechanik und Automatenbau erhalten. Der erste Automat erreichte das
lateinische Europa wohl im Jahr 807.
Damals standen Kaiser Karl der Große und Harun al-Rashid im
diplomatischen Kontakt und tauschten fleißig Geschenke aus. Karl der Große
erhielt neben einem weißen Elefanten auch eine Wasseruhr vom Kalif.
Arabische Ingenieure bauten unglaublich komplexe Automaten,
die oft aus einer Vielzahl sich bewegender Elemente bestanden: Auf den
Wasseruhren tanzten zum Beispiel kleine mechanische Menschen zum Takt der
Zeiger. Am Hof Karls des Großen dagegen erfolgte die Zeitmessung damals durch
einfache Kerzenuhren – was für ein Unterschied!
Automaten als faszinierendes Element des Ostens: Salomons Thron in Byzanz
Kein Wunder also, dass man im lateinischen Westen von den
fremdartigen Automaten sehr fasziniert war. Im 10. Jahrhundert berichtet der
Diplomat Luitprand von Cremona von seinem Aufenthalt am Kaiserhof in Byzanz.
Auch dort baute man technisch anspruchsvolle Automaten. Der sogenannte „Thron
von Salomon“ ist darunter sicher der bekannteste. Laut Luitprand stand dieser
Thron in der Magnaura, einem Raum im Palast des Kaisers in Byzanz.
Fauchende Löwen, zwitschernde Vögel, ein beweglicher Thron: Die
hochkomplexe Mechanik dieses Throns hat auch dazu beigetragen, dass den
byzantinischen Hof im Frühmittelalter ein Hauch von Faszination und Magie
umwehte. Und sicherlich war der Anblick dieses Schauspiels für manche Besucher
ein ziemlich furchteinflössender Anblick.
Automaten als fremde Bedrohung: Karl der Große in Konstantinopel
Kaum verwunderlich also, dass die Automaten des Ostens im
Westen auch oft als fremde Bedrohung wahrgenommen wurden. Besonders in der
mittelalterlichen Literatur besteht eine enge Verbindung zwischen dem Orient
und bedrohlichen Automaten. So zum Beispiel in dem französischen Epos „Voyage de Charlemagne à Jérusalem et à
Constantinole“ („Die Reise Karls des
Großen nach Jerusalem und Konstantinopel“) aus dem 12. Jahrhundert.
Darin wird von einer (erfundenen) Pilgerreise Karls des
Großen nach Jerusalem berichtet. Auf dem Heimweg machen Karl und seine
Gefährten auch am Hof des byzantinischen Kaisers Station. Dort werden sie
Zeugen wundersamer Maschinen: Musikautomaten aus Kupfer, singende Statuen und
Co. Sogar der Palast selbst dreht und bewegt sich, angetrieben durch den
Westwind.
Lanzelot kämpft gegen zwei menschenähnliche Automaten. Lancelot do lac, Frankreich, 15 Jh. (Abbildung: Paris, BnF, MS Fr. 118, fol. 200v) |
Sobald der Palast sich zu drehen beginnt, verlieren die
verblüfften Franken komplett die Orientierung: Karl der Große „setzt sich auf
den Marmorboden, unfähig zu stehen. Die Franken werden auf den Boden
geworfen.“, so heißt es im Epos. Die Männer aus dem lateinischen Europa sind
mit den Wundern des Ostens total überfordert.
Das hindert die Männer Karls des Großen übrigens dann nicht
daran, sich später zu betrinken und mit ihrer Stärke zu prahlen. Als der
byzantinische Kaiser sie am nächsten Tag für die ziemlich wilden
Gewaltphantasien zur Rede stellt, greift Gott zu Gunsten Karls ein: Alle
Drohungen der Franken erfüllen sich und der Palast wird zerstört.
Die Ordnung der Welt, die durch die Mechanik des Palastes
aus den Fugen geraten war, wird durch göttliche Macht so wiederhergestellt. Die
Reliquien, zu denen die Franken gebeten haben, sind den mechanischen Künsten in
Byzanz überlegen, so die Botschaft.
Warnung, dass Divination, also Wahrsagerei, nur mit der Hilfe von Dämonen möglich ist. Omne Bonum, England, ca. 1350 (Abbildung: British Library, Royal 6 E VI, f. 535v) |
Wie baut man im 12. Jahrhundert im lateinischen Europa einen Automaten?
Obwohl die Automaten des Ostens im Westen als Bedrohung
wahrgenommen werden, ist man im lateinischen Europa auch fasziniert von der
Mechanik dieser Maschinen. Im 12. Jahrhundert machen sich die Gelehrten immer
intensivere Gedanken, wie sie selbst solche Automaten anfertigen könnten. Über
ein Problem zerbrechen sie sich dabei besonders den Kopf: Was treibt die
Automaten an? Meistens scheint Magie die einzige mögliche Erklärung:
- Okkulte Wissenschaften: Der Palast des byzantinischen Kaisers im Epos „Voyage de Charlemagne“ bewegt sich dank Spezialwissens in der Geheimwissenschaft namens cumpas. Dank dieser arkanen Wissenschaft kann die Bewegung des Mondes vorhergesagt werden und so der Kalender berechnet werden. So wird auch das Wissen erlangt, wie man drehende Paläste baut, die durch ihre Bewegung Himmel und Erde nachbilden.
- Magneten: Von vielen Stoffen nahm man im Mittelalter an, dass sie besondere Fähigkeiten besaßen. Deshalb wurden zum Beispiel besonders Magneten für das Herzstück jedes Automaten gehalten. Auch Edelsteinen wurde die Fähigkeit zugesprochen, Automaten betreiben zu können.
- Bezoar: Jetzt wird es ein wenig unappetitlich. Der Bezoar wird auch Magenstein genannt und ist eine Verklumpung aus verschluckten Materialien (wie Haaren), die sich im Magen von Greifvögeln und Katzen bilden können. Bezoare sollten vor Vergiftungen schützen und standen im Verdacht, die Automaten zu beleben.
- Dämonen: Auch Dämonen standen im Verdacht, Automaten zu bewegen. Das vermutete man vor allem auf Grund der Fähigkeiten der Dämonen, die Menschen auszutricksen und sie zur Sünde zur Verführen.
Bezoarsteine aus der Schatzkammer der Wittelsbacher in München. (Abbildung: Schtone, Wikimedia Commons) |
Wie baute man also im 12. Jahrhundert einen Automaten im
lateinischen Europa? Im Grunde gar nicht. Denn mechanisches Wissen hatten die
Gelehrten nicht und ihre Erklärungen aus den Bereichen der Naturphilosophie,
der okkulten Wissenschaften und der Theologie waren natürlich in der Praxis wenig
hilfreich.
Automaten, die die Zukunft vorhersagen: Die sprechenden Köpfe
Es ist wenig verwunderlich, dass im Hochmittelalter deshalb jeder
Automat etwas Gefährliches und Verbotenes war. Um einen Automaten zu
erschaffen, musste man schon Magier oder Dämonenbeschwörer sein. Der Vorwurf,
einen Automaten gebaut zu haben, war deshalb ein beliebter Vorwurf, um Gelehrte
zu verunglimpfen.
Gerbert von Aurillac, der als Silvester II. von 999 bis 1003
Papst war, galt schon seinen Zeitgenossen als überaus kluger und gebildeter
Mensch. Besonders in der Mathematik und Astronomie besaß er beeindruckende
Fähigkeiten. Etwa 100 Jahre nach seinem Tod entwickelten sich dann aber Legenden,
die Gerbert von Aurillac vorwarfen, sich mit Magie beschäftigt zu haben. Sogar
mit dem Teufel sollte er im Bunde gewesen sein und eine Schule der Zauberei in
Rom gegründet haben.
Ein sprechender Kopf ist in diesen Legenden Gerberts
Meisterwerk. Mit Hilfe von Nekromantie und okkulter Wissenschaften hat Gerbert
angeblich einen Kopf geschaffen, der ihm die Zukunft vorhersagen kann.
Doch wie bei Doug Haffernan geht natürlich die Sache mit dem
prophetischen Kopf auch bei Gerbert nicht gut aus: Gerbert fragte seinen Kopf,
wo er sterben werde. In Jerusalem, antwortete ihm daraufhin der Kopf. Was
Gerbert dabei vergaß: In Rom gab es eine Kirche, die „Jerusalem“ hieß. Als Gerbert
eines Tages dort eine Messe feierte, fiel er auf der Stelle Tod um, so die
Legende.
Gerbert von Aurillac ist nicht der einzige, dem nach seinem
Tod vorgeworfen wurde, magisches und verbotenes Wissen praktiziert zu haben.
Auch den englischen Bischof Robert Grosseteste, den deutschen Gelehrten
Albertus Magnus und den englischen Philosophen Roger Bacon ereilte dieses
Schicksal. Aufgrund seines großen Wissensdurstes in den Bereichen Alchemie und Magie bildete sich schnell die Legende, Albertus Magnus habe eine "redende Bildsäule" erschaffen. Über Roger Bacon gibt es ebenfalls die berühmte Legende, er habe
einen magischen Kopf aus Bronze erschaffen.
Table fountain for the royal court, Paris, ca. 1320 https://t.co/f3wzLnB11T— curiositas (@curiositas_ma) 16. November 2016
Villard de Honnecourt und die ersten in Europa geschaffenen Automaten
Im Hochmittelalter gehörten Automaten, Maschinen und Roboter
in das Reich der Magie. Wer einen Automaten bauen konnte, der musste ein Magier
sein und über geheimes Wissen verfügen. Das ändert sich ab dem 12. Jahrhundert
langsam. Das Wissen um Mechanik und Hydraulik wächst nun auch im lateinischen
Europa. Automaten werden jetzt zunehmend als mechanische Maschinen verstanden
und nicht mehr als magische Gegenstände.
Das erste Beispiel für historisch belegbare Automaten in
Westeuropa stammt aus der Mitte des 13. Jahrhunderts. Damals entwirft der
Ingenieur Villard de Honnecourt (1225–1250) eine Reihe von mechanischen
Gegenständen. In seinem Notizbuch finden sich Zeichnungen von Automaten, die sich
dank Seilwinden, Hebeln und Gewichten wie von selbst bewegten. Einer seiner
Automaten war zum Beispiel ein Vogel, der Flüssigkeit aus einem Becher trank
und dabei sogar gluckernde Trinklaute machte. Neben einem mechanischen Adler
hat Honnecourt übrigens auch an einer Armbrust und einer hydraulischen Säge
gearbeitet.
(Abbildung: Paris, BnF, MS Fr. 19093, fol. 9r) |
Auch die Fürstenhöfe erreichen nun die ersten Automaten. Der
Hof von Hesdin in Artois ist der erste, an dem Automaten aufgestellt werden. Im
14. und 15. Jahrhundert gibt es dort Springbrunnen, Uhren, mechanischen Affen
und künstliche Vögel. Um 1300 ähnelt der Garten von Hesdin damit den
islamischen Höfen, wie sie im Frühmittelalter von europäischen Reisenden
beschrieben wurden.
(Abbildung: Paris, BnF, MS Fr. 19093, fol. 22v) |
Es hatte ein halbes Jahrtausend gedauert, bis die Wunderautomaten
im lateinischen Europa nicht mehr nur in Texten über den Orient beschrieben
werden, sondern selbst Teil der europäischen Hofkultur werden. Statt magischen
Erklärungen wird nun intensiv an der Verfeinerung der Mechanik gearbeitet, die
hinter den Automaten steckt. Mit Gelehrten wie Leonardo da Vinci (1452–1519) und
Athanasius Kircher (1602–1680) brach eine neue Epoche des Automatenbaus an.
P.S. Die Terminologie ist nicht ganz einfach: Begriffe wie "Automaten" oder "Roboter" gab es im Mittelalter noch nicht. Weil sie allerdings die Gerätschaften, um die es in diesem Blog-Artikel geht, ziemlich gut beschreiben, können sie durchaus verwendet werden.
Mechanische Skizzen in einer Handschrift der Schriften des antiken Autors Heron von Alexandria aus dem 16. Jahrhundert.(Abbildung: British Library, Harley 5606, f. 15) |
Literatur zu Automaten und Robotern im Mittelalter
Truitt, E. R.: Medieval Robots. Mechanism, Magic, Nature and Art. Philadelphia 2015.
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