Frühmittelalter
Der Aufstand von 1074: Die Kölner kämpfen für ihre Freiheit
Januar 03, 2018
Besonders geliebt hatten die Kölner ihren Erzbischof Anno II. (1010-1075) nie. Zu arrogant, zu asketisch und zu skrupellos war das Verhalten des gebürtigen Schwaben, der ab 1056 Erzbischof von Köln war. Jahrelang brodelte es im Verborgenen in der Stadt.
Doch an Ostern 1074 brachte ein scheinbar harmloser Zwischenfall das Fass zum Überlaufen: Anno wollte seinem Gast und Freund, Bischof Friedrich I. von Münster, eine möglichst angenehme Heimreise ermöglichen und ließ dafür im Hafen von Köln das Schiff eines Kaufmanns beschlagnahmen.
Schifffahrt und Handel spielten schon im 11. Jahrhundert eine wichtige Rolle in Köln. (Abbildung: Bayerische Staatsbibliothek, Schedelsche Weltchonik, Stadtansicht von Köln) |
Ein Funke, der zum Flächenbrand wird ...
Der Kölner Händler war wohl als Unfreier dem Erzbischof zu einem solchen Herrendienst verpflichtet - doch er widersetzte sich! Schließlich hatte der Kaufmann sein Schiff bereits beladen und war bereit zur Ausfahrt.
Besonders der Sohn des Kaufmannes brachte die Situation zum Eskalieren. Immer mehr Kölner schlossen sich der widerspenstigen Händlerfamilie an und bewaffneten sich. Es kam zum gewaltsamen Aufstand gegen den Erzbischof!
Anno: Ein ambitionierter Erzbischof macht sich Feinde
Dem Aufstand vorausgegangen waren eine Reihe von Konflikten zwischen den Kölner Bürgern und ihrem Erzbischof. Denn Erzbischof Anno beschränkte sich (wie die meisten Bischöfe und Erzbischöfe seiner Zeit) nnicht auf den Bereich der christlichen Seelsorge, sondern mischte auch kräftig in der Politik mit.
Als Erzbischof von Köln hatte Anno nicht nur das Privileg, jeden neu gewählten König in Aachen krönen zu dürfen, er war auch Erzkanzler für Italien und eine der einflussreichsten Persönlichkeiten im Reich. Durch die Entführung des minderjährigen Königs Heinrich IV. (Stichwort "Staatsstreich von Kaiserswerth") machte Anno sich 1062 sogar zum alleinigen Regenten des Reiches - natürlich nur als Stellvertreter für den unmündigen jungen König.
Als Erzbischof von Köln hatte Anno nicht nur das Privileg, jeden neu gewählten König in Aachen krönen zu dürfen, er war auch Erzkanzler für Italien und eine der einflussreichsten Persönlichkeiten im Reich. Durch die Entführung des minderjährigen Königs Heinrich IV. (Stichwort "Staatsstreich von Kaiserswerth") machte Anno sich 1062 sogar zum alleinigen Regenten des Reiches - natürlich nur als Stellvertreter für den unmündigen jungen König.
Auch in Köln selbst hatte Anno das Sagen: Denn der Kölner Erzbischof war damals auch Stadtherr von Köln, das heißt, er konnte Recht und Verfassung festlegen, Abgaben und Zölle kontrollieren und hatte die Aufsicht über Dinge wie Markt und Münze. Immer wieder errechte die von Anno dabei an den Tag gelegte rigorose Herrschaftspraxis den Unmut der Kölner. Auch die cluniazensischen Reformideen, die Anno aus dem Kloster Fruttuaria nach Köln brachte, schmeckten nicht allen.
Dazu kam, dass die Kölner Händler aufgrund ihres wirtschaftlichen Erfolges ein wachsendes Selbstbewusstsein an den Tag legten. Die reichen und tatkräftigen Kaufleute wollten sich nicht länger dem Erzbischof unterordnen - auch angesichts der langen Geschichte, auf die die Stadt Köln damals schon zurückblicken konnte.
Händler wie dieser aus einer Handschrift des 15. Jahrhunderts waren die Anführer des Aufstandes gegen Erzbischof Anno II. von Köln. (Abbildung: British Library, Royal 19 C XI, f. 31v.) |
April 1074: Die Bürger von Köln greifen zu den Waffen
Also der Konflikt zwischen den Bürgern und ihrem Erzbischof an Oster 1074 dann schließlich eskalierte, entlud sich der angestaute Unmut. Die Kölner bewaffneten sich und stürmten Bischofspalast und Dom.
Der Chronist Lampert von Hersfeld berichtet, dass die Kölner den Erzbischof am liebsten auf der Stelle ermordet hätten. Das wäre keine Seltenheit gewesen: 1088 ermordeten zum Beispiel die Goslarer Bürger ihren Bischof Burchard von Halberstadt während eines Aufstandes.
Anno floh durch den 16 Meter langen Annostollen aus dem Dom und durch die Stadtmauer aus Köln. (Abbildung: Wikimedia Commons, Frank Vincentz) |
Doch Anno II. kann mit etwas Glück fliehen. Noch heute kann man die sogenannte "Katzenpforte" in der Kölner Stadtmauer besichtigen, durch die Anno damals mit seinen Begleitern aus Köln geflohen sein soll. Die aufgebrachte Menge tötete daraufhin einen Kleriker, den sie mit dem Erzbischof verwechselten.
Vergangenheit trifft auf Gegenwart: Der sogenannte Annostollen mit einem Teil der römischen Stadtmauer und dem Fluchttunnel Annos II. befindet sich heute im Parkaus am Dom unter der Domplatte. (Abbildung: Wikimedia Commons, Frank Vincentz) |
Die Emanzipation der Städte im 11. und 12. Jahrhundert
Obwohl es auf den ersten Blick nur um die Beschlagnahmung eines Schiffes ging, hatte der Aufstand von 1074 doch eine deutlich größere Dimension: Der Konflikt um die Beschlagnahmung des Schiffes führte die Kölner zu einer Einheit gegen ihren Stadtherren zusammen. Gemeinsam wollten die Bürger Kölns nun die Kompetenzen des Stadtherren zum eignen Nutzen zurückdrängen.
Damit gehörte der Kölner Aufstand von 1074 in eine größere geschichtliche Entwicklung des 11. und 12. Jahrhunderts, die als "Emanzipation der Städte" bezeichnet wird. Zu dieser Zeit entstanden in Frankreich und Italien die ersten sogenannten Kommunen. So werden Städte bezeichnet, in denen sich die Bürger aktiv an der Stadtherrschaft beteiligen und durch einen Schwur zu einer politischen Gemeinschaft verbunden sind.
Auch in Italien lief dieser Prozess nicht ohne Spannungen und Konflikte ab: In Mailand etwa gilt der sogenannte Valvassoren-Aufsand (1035/37) als Initialzündung für die entstehung der Kommune. Damals verbündeten sich die Mailänder gegen ihren Stadtherrn, den Erzbischof. Sie vertrieben den Erzbischof und übernahmen die Stadtherrschaft fortan selbst. Laut Lampert von Hersfeld sollen sich die Kölner hieran ein Beispiel genommen haben.
Auch in Italien lief dieser Prozess nicht ohne Spannungen und Konflikte ab: In Mailand etwa gilt der sogenannte Valvassoren-Aufsand (1035/37) als Initialzündung für die entstehung der Kommune. Damals verbündeten sich die Mailänder gegen ihren Stadtherrn, den Erzbischof. Sie vertrieben den Erzbischof und übernahmen die Stadtherrschaft fortan selbst. Laut Lampert von Hersfeld sollen sich die Kölner hieran ein Beispiel genommen haben.
Köln war im Jahr 1074 der Schauplatz eines blutigen Aufstandes. |
Der Aufstand der Wormser
Auch ganz in der Nähe von Köln kam es kurz zuvor zu einem Aufstand: In Worms vertrieben die Bürger ihren Bischof im Jahr 1073 aus der Stadt. Denn auch in Worms hatten die Bischöfe ihre Herrschaft über die Stadt immer weiter ausgebaut: Sie kontrollierten Markt, Zoll und Gerichte. Dazu kamen hohe Geldzahlungen und Frondienste, die die Wormser Hörigen dem Bischof leisten mussten.
Im Januar 1074 stellte König Heinrich IV. den Wormsern dann sogar eine Urkunde aus, die sie von allen Reichszöllen befreite. Die Wormser leisteten im Gegenzug nicht mehr dem Bischof als Stadtherrn den Treueid, sondern dem König selbst.
Die Reaktion Annos auf den Aufstand: Feuer und Schwert!
Die erhoffte Freiheit der Kölner währte jedoch nicht lange: Anno sammelte sofort Krieger und bewaffnete Untertanen und kehrte vier Tage später nach Köln zurück. Die aufständischen Kölner ergaben sich angesichts der feindlichen Übermacht schnell und ließen Anno zurück in die Stadt.
Anno hielt sofort Gericht über die Aufständischen und verhängte dabei drakonische Strafen wie Blendung. Der Aufstand war damit niedergeschlagen und die Emanzipation der Kölner hatte einen herben Rückschlag erlitten - vorerst! Mit Anno mussten sich die Kölner auf jeden Fall nicht mehr sehr lange herumschlagen: Der Erzbischof starb bereits am 4. Dezember 1075.
Heute ruhen die Gebeine Erzbischofs Anno II. von Köln im sogenannten "Annoschrein" in einer Seitenkapelle der Abtei St. Michael auf dem Michaelsberg in Siegburg. Geschaffen wurde der Schrein von Nikolaus von Verdun, der auch den Dreikönigsschrein im Kölner Dom schuf. (Abbildung: Wikimedia Commons, Dismas87) |
So einfach gaben die Kölner in den nächsten Jahren und Jahrzehnten nicht nach. Mit Erfolg: Im Jahr 1106 erhielten sie von Kaiser Heinrich IV. den Auftrag, die Erweiterung der Stadtbefestigung zu überwachen. Hinter dieser Aufgabe versteckt sich ein wichtiger Machtzugewinn der Bürger, die in diesem Zusammenhang zum ersten Mal ein Recht in die eigenen Hände nehmen, das eigentlich dem Erzbischof als Stadtherren vorbehalten war.
Später vermittelte dann Albertus Magnus zwischen den Kölner Bürgern und ihrem Erzbischof Konrad von Hochstaden. 1259 erhielten die Bürger daraufhin das Stapelrecht - ein lukratives und profitables Recht, das erheblich zum Aufstieg Kölns zur Handelsmetropole beitrug.
Ab dem 13. Jahrhundert erlangten dann auch die Mitglieder der "15 Geschlchter der Stadt Köln" immer mehr Reichtum, Macht und Einfluss. Mit dem Sieg in der Schlacht von Worringen begann dann die Entwicklung Kölns zu einer freien Stadt. 1475 war es dann so weit: Kaiser Friedrich III. erhob Köln zur "Freien Reichsstadt". 400 Jahre nachdem die Kölner erstmals den Aufstand gegen den Erzbischof geprobt hatten.
Ab dem 13. Jahrhundert erlangten dann auch die Mitglieder der "15 Geschlchter der Stadt Köln" immer mehr Reichtum, Macht und Einfluss. Mit dem Sieg in der Schlacht von Worringen begann dann die Entwicklung Kölns zu einer freien Stadt. 1475 war es dann so weit: Kaiser Friedrich III. erhob Köln zur "Freien Reichsstadt". 400 Jahre nachdem die Kölner erstmals den Aufstand gegen den Erzbischof geprobt hatten.
Literatur zum Aufstand von 1074
Vollrath, Hanna: Konfliktwahrnehmung und Konfliktdarstellung in erzählenden Quellen des 11. Jahrhunderts, in: Stehkämper, Hugo: Die Salier und das Reich. Band 3. Sigmaringen 1991.
Schulz, Knut: „Denn sie liebn die Freiheit so sehr ...“. Kommunale Aufstände und Entstehung des europäischen Bürgertums im Hochmittelalter, 2., verb. Aufl., Darmstadt 1995.
Schmieder, Felicitas: Die mittelalterliche Stadt. Darmstadt 2005.
Hirschmann, Frank G.: Die Stadt im Mittelalter. München 2009 (=EDG 84).
Schwarz, Jörg: Stadtluft macht frei. Leben in der mittelalterlichen Stadt (Geschichte erzählt), Darmstadt 2008.
Schulz, Knut: „Denn sie liebn die Freiheit so sehr ...“. Kommunale Aufstände und Entstehung des europäischen Bürgertums im Hochmittelalter, 2., verb. Aufl., Darmstadt 1995.
Schmieder, Felicitas: Die mittelalterliche Stadt. Darmstadt 2005.
Hirschmann, Frank G.: Die Stadt im Mittelalter. München 2009 (=EDG 84).
Schwarz, Jörg: Stadtluft macht frei. Leben in der mittelalterlichen Stadt (Geschichte erzählt), Darmstadt 2008.
2 Kommentare
echt ein geiler Artikel, und diese schönen Bilder
AntwortenLöschenZitat:
AntwortenLöschen"Denn Erzbischof Anno beschränkte sich (wie die meisten Bischöfe und Erzbischöfe seiner Zeit) nicht auf den Bereich der christlichen Seelsorge, sondern mischte auch kräftig in der Politik mit."
Selbstverständlich tat er das. Die Erzbischöfe waren damals nicht nur geistliche Oberhäupter und kirchliche Funktionsträger sondern gleichzeitig auch Reichsfürsten!
Also ebenso weltliche Herrscher.
Mit dem Status heutiger Erzbischöfe hatte das nichts zu tun.
Erzbischof Anno hat zweifellos auch viel zum Reichtum und der späteren Stärke Kölns beigetragen.
Auch nach England knüpfte er enge Handelsbeziehungen und tauschte Gesandtschaften mit dem englischen König Wilhelm dem Eroberer aus.
Aufgrund verschiedener Differenzen und Antipathien wird Anno von vielen Kölnern und diversen Autoren bis heute zu einseitig und negativ, teilweise auch einfach falsch beurteilt.