So kämpfte Karl der Große gegen die Hungersnot von 805/06

Die Versorgung der Bevölkerung mit ausreichend Nahrung war im Mittelalter eine große Herausforderung. Denn die Landwirtschaft wa...

Die Versorgung der Bevölkerung mit ausreichend Nahrung war im Mittelalter eine große Herausforderung. Denn die Landwirtschaft war sehr abhängig von den Witterungsbedingungen. Besonders beim wichtigen Getreide konnten längere Kälteperioden oder ein nasser, kalter Frühsommer zu erheblichen Ernteausfällen führen. Das sorgte immer wieder für gravierende Hungersnöte.

Auch Karl der Große war als Herrscher im Winter 805/806 mit einer schweren Hungerkatastrophe konfrontiert. Aus einem offiziellen Rundschreiben, das Karl in seinem Reich verbreiten ließ, wissen wir, wie der Kaiser auf die Krise reagierte. Sein erstaunlicher Maßnahmenkatalog zeigt, wie anders die Menschen im Mittelalter gedacht haben!

Nicht immer fiel die Ernte im Mittelalter so üppig aus wie in dieser englischen Handschrift aus  dem 14. Jahrhundert.
(Abbildung: British Library, Royal 2 B VII, f. 78v.)

Der Maßnahmenkatalog Karls des Großen gegen die Hungersnot

Karl der Große setzte zur Durchsetzung seines Herrscherwillens auf sogenannte Kapitularien. Das waren schriftliche Rundbriefe des Herrschers an seine Untertanten, die von Boten im ganzen Reich verteilt wurden. Vor Ort war es dann die Aufgabe von Bischöfen und Grafen, die Bestimmungen auch umzusetzen. So konnte Karl der Große ziemlich effektiv sein großes Reich beherrschen.

Weil diese Kapitularien oft in sehr vielen Ausfertigungen im ganzen Frankenreich verteilt wurden, haben sich viele der Texte in Abschriften bis heute erhalten. Das ermöglicht uns tiefe Einblicke in die Art und Weise, wie Karl sein Reich regierte und auf bestimmte Krisen und Herausforderungen reagierte. Das entscheidende Kapitular aus dem November 805 mit den Bestimmungen für die Hungerkrise im Winter 805/806 hat sich in Lüttich im Umfeld der Bischofskirche erhalten.

Konkret forderte Karl der Große seine Untertanen dazu auf, diese drei Verpflichtungen zu erfüllen, um die Hungerkrise schnellstmöglich zu überwinden:

1. Fasten

Fasten - das war Karls zentrale Aufforderung an alle Bewohner des Frankenreichs. Gleich drei jeweils dreitägige Fastenperioden sollten gegen die Hungersnot helfen. Verboten wurde der Verzehr von Fleisch und Wein an drei aufeinanderfolgenden Tagen im Dezember 805 sowie im Januar und Februar 806. Eigentlich gar nicht so abwegig: Verzichtete die gesamte Bevölkerung auf Essen, dann sinkt der Nahrungsverbrauch und die Vorräte werden geschont.

Doch Karl ordnete das Fasten nicht an, um den Konsum zu reduzieren. Vielmehr interpretierte man am Kaiserhof die drohende Hungerkatastrophe als eine Strafe Gottes, mit der er die Franken für ihre Sünden bestrafen wollte. Das mehrtägige Fasten aller (dazu fähigen) Untertanen war in den Augen Karls das einzige Mittel, um den göttlichen Zorn zu besänftigen.

Ein angelsächsischer Priester namens Cathwulf hatte Karl den Großen wenige Jahre zuvor schon darauf hingewiesen, dass Hungersnöte, Seuchen und andere Katastrophen immer durch schlechte und ungerechte Königsherrschaft ausgelöst wurden. Nur das "Fasten als Möglichkeit individueller Buße, Umkehr und Besserung sowie als kollektive Leistung zur Abwendung göttlichen Zorns" (Jörg, S. 43) konnte in solchen Situationen noch helfen.

Nicht nur die drohende Hungersnot sollte so abgewendet werden: Am Kaiserhof sorgte man sich zudem wegen drohender Seuchen und militärischen Auseinandersetzungen in den Grenzregionen des Reiches.

2. Almosen

Das Fasten sollte bis zur neunten Stunde dauern. Erst dann durfte wieder gegessen werden. Davor, so ordnete Karl in seinem Rundbrief an, sollten Prozessionen und Messen stattfinden. Anschließend waren die Franken dazu angehalten, Almosen für Bedürftige zu spenden.

Auch Almosen erscheinen zunächst als eine sehr rationale Reaktion auf eine drohende Hungersnot, schließlich konnten so die Bedürftigen direkt vor Ort mit dringend benötigten Lebensmitteln versorgt werden. Denn so etwas wie staatliche Sicherungssysteme gab es damals natürlich noch nicht.

Doch auch hier ist eine religiöse Komponente im Spiel: Wer Almosen spendete, der tat damit gleichzeitig etwas für sein eigenes Seelenheil. Der Spender konnte so im Jenseits von seiner guten Tat profitieren.

3. Gebete

Zu guter Letzt sollten die  bisherigen Anstrengungen, also Fasten und Almosen, noch durch Gebete verstärkt werden. Karl der Große verdonnerte in seinem Kapitular deshalb die Geistlichen zu Zusatzschichten in der Kirche: Priester mussten eine zusätzliche Messe lesen, andere Kleriker fünfzig Psalmen ableisten.

Getreide: Lebensgrundlage für die Menschen im Mittelalter.

Fasten, Almosen und Gebete: Erprobte Mittel gegen Hungersnöte

Bereits vor dem Winter 805/806 hatte Karl der Große mit einer Hungersnot zu kämpfen. Wir wissen nicht genau, ob sich die damals verschickte Mitteilung Karls auf eine Hungersnot in den Jahren 778/79 oder 792/93 bezieht, doch die Maßnahmen kennen wir inzwischen schon: Fasten, Almosen und Gebete sollten auch damals die Hungersnot abwenden.

Alle Geistlichen und Laien verdonnerte Karl schon damals zu zweitägigem Fasten. Für Laien gab es aber ein Schlupfloch: Sie konnten sich für festgesetzte Geldbeträge von der Verpflichtung zum Fasten freikaufen! Eine Möglichkeit, die auch später im Mittelalter während der Fastenzeit vor Ostern oft und gerne genutzt wurde.

Das Ende der Fastenzeit legte Karl der Große auf den 24. Juni, das Fest von Johannes dem Täufer, das im Jahreskreis damals den Beginn der Erntezeit kennzeichnete. Denn mit der neuen, erfolgreichen Ernte, sollte auch die Zeit der Buße und Reue natürlich ebenso zu Ende gehen wie die Hungersnot.

Auch die Almosenleistung legte Karl in diesem älteren Maßnahmenkatalog sehr detailliert fest: Je nach Rang und Vermögen musste eine bestimmte Zahl an Notleidenden versorgt werden - entweder in Form von Geldzahlungen oder durch Lebensmittelspenden.

Die Zahl der Gebete bestimmte Karl ebenfalls: Bischöfe mussten je drei Messen und drei Psalter lesen. Mönche, Nonnen und Kanoniker konnten sich aussuchen, ob sie drei Messen oder drei Psalter lesen wollten.

Karl der Große betet vor einem Altar in einer Handschrift aus dem 14. Jahrhundert. (Abbildung: British Library, Egerton 3028, f. 89.)

Zusätzliche Maßnahmen gegen die Hungersnot von 805/06

Im März 806 erließ Kaiser Karl der Große eine Reihe weiterer Bestimmungen, wie die Führungsschicht im Frankenreich mit der Hungersnot umgehen sollte. Karl verbot zum Beispiel Spekulationskäufe und setzte Höchstpreise für Getreide fest, um die Preise auch in der Krisenzeit stabil zu halten.

Dass Karl der Große sich sehr um die Bekämpfung der Hungersnot bemühte, leg auch an der politische Situation im Winter 805/06. Am 6. Februar 806 regelte Karl der Große auf einem Hoftag seine Nachfolge: Nach seinem Tod sollte das Frankenreich unter seinen drei gleichberechtigten Söhnen aufgeteilt werden.

Diese Phantasiedarstellung aus einer französischen Handschrift aus dem 15. Jahrhundert zeigt Karl den Großen an einem Tisch, wie er gerade einen Brief empfängt. (Abbildung: British Library, Royal 16 G II, f. 8.)


Hungersnöte: Religiöse und wirtschaftspolitische Gegenmaßnahmen

Diese langfristige Regelung der Nachfolge war natürlich eine politisch sensible Situation. Umso wichtiger war es deshalb für Karl, dem christlichen Herrscherideal zu entsprechen und die Schwachen zu schützen und zu verteidigen. Sonst konnte die Hungersnot schnell als Zeichen schlechter Herrschaft ausgelegt werden.

Auch andere Herrscher reagierten auf Hungersnöte mit ähnlichen Maßnahmen wie Karl der Große. Herzog Tassilo von Bayern ordnete zum Beispiel im Jahr 786 an, dass alle Untertanen fasten sollten und Bußübungen zu leisten hatten. Auch Kaiser Ludwig der Deutsche befahl ein allgemeines Fasten während den Hungersnöten in seinem Reich.

Flankiert wurden solche religiösen Maßnahmen gegen Hungerkatastrophen aber auch oft mit wirtschaftspolitischen Anordnungen. So legte zum Beispiel Friedrich Barbarossa im Jahr 1152 in seinem Reichslandfrieden Höchstpreise für Getreide fest.

Man sieht: Ausschließlich auf die Besänftigung des göttlichen Zorns durch Fasten und Gebete wollten die mittelalterlichen Herrscher sich dann doch nicht verlassen.

Literatur

Mordek, H.: Karls des Großen zweites Kapitular von Herstal und die Hungersnot der Jahre 778/779. In: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 61 (2005), S. 1-52. (Hier auch digital frei zugänglich)
Jörg, C.: Die Besänftigung göttlichen Zorns in karolingischer Zeit. Kaiserliche Vorgaben zu Fasten, Gebet und Buße im Umfeld der Hungersnot von 805/06, in: Das Mittelalter 15 (2010), S. 38-51.

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1 Kommentare

  1. Man sollte auch den psychologischen Aspekt des Fastens nicht unterschätzen (auch wenn ich bezweifle, dass Karl daran gedacht hatte).
    Fasten ist aktives Tun. Hungern ist passives Verharren.
    Sicher, was die Kalorienzufuhr angeht, gibt sich beides nicht viel. Aber für die Geisteshaltung der Menschen macht es sehr wohl einen Unterschied, denn erstens tun sie etwas und zweitens hat dieses Tun einen Sinn.

    Ob Karl wirklich so fromm war, wie es seine Biographen es beschrieben, sei einmal dahingestellt. Er wäre nicht der erste Monarch, den man frommer schreibt, als er wahrscheinlich war (siehe Konstantin der Große). Was Karl aber sehr wohl wusste, war, dass Menschen in Not oft einen Sündenbock für ihr Leid suchen. Es sei denn, man bietet ihnen einen alternativen Lösungsweg für ihr Problem an.

    So gesehen waren die erwähnten Kapitularien nicht nur der Versuch, sich mit Gott zu versöhnen. Sie dienten auch der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung. Und das war mindestens ebenso wichtig.

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