Ottonen
Die demütigen Herrscher der Ottonenzeit
August 17, 2016
Vor allem der
christliche Glaube bindet die ottonischen Könige in ihrer Handlungsfreiheit: Christliche Normen und Werte legen die Rechte, aber auch die Pflichten des Herrschers fest. So fordert beispielsweise die Herrschertugend der Demut (humilitas), dass sich der Herrscher stets der Tatsache bewusst sein solle, dass er nichts aus eigener Kraft und Anstrengung leisten könne – sondern bei seinem Handeln immer auf Gottes Hilfe angewiesen ist. Um die Hilfe Gottes zu erlangen, muss sich der Christ seiner Sünden bewusst sein und als demütiger Büßer seine Bitten vortragen. Erst dann besteht die Möglichkeit, dass Gott und die Heiligen ihm helfen. Auch der König muss auf diese Weise auf göttlichen Beistand hoffen. Zwei Merkmale machen in den Augen der Zeitgenossen einen guten Herrscher aus: Demut und das Bewusstsein um die eigene Sündhaftigkeit. Der Einfluss dieser christlichen Tugenden auf das Handeln des Königs führt um das Jahr 1000 zu einem neuen und ungewöhnlichen Verhalten der Herrscher: Die Könige aus der Herrscherfamilie der Ottonen (bzw. der Liudolfinger) treten in der Öffentlichkeit besonders demütig auf. Es ist die Zeit der öffentlichen Selbsterniedrigungen des Herrschers. Die ersten Akte solcher Selbsterniedrigungen finden im religiösen Kontext statt, doch auch in politischen Auseinandersetzungen greifen die Herrscher zu Akten der Selbstdemütigung. Hier sind fünf Momente, in denen Herrscher in der Ottonenzeit besonders demütig auftreten - und die Gründe, warum sie das tun.
Kaiser Otto III. als machtvoller und machtbewusster Herrscher, dargestellt in seinem Evangeliar (Bayerische Staatsbibliothek, Clm 4453, fol. 23v-24r) . Manchmal tritt Otto III. jedoch auch deutlich demütiger auf.
(Abbildung: Wikimedia Commons, The Yorck Project)
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Die Wallfahrt Kaiser Ottos III. zum Monte Gargano
Der zweite Romaufenthalts Kaiser Ottos III. im Jahr 998 verläuft ziemlich blutig. Der aufrührerische Stadtpräfekt Crescentius und auch der Gegenpapst Johannes Philagathos wollen sich dem Kaiser nicht unterwerfen, also greift der zu grausamen Methoden: Otto III. lässt Johannes Philagathos kurzerhand grausam verstümmeln. Dem Gegenpapst werden Augen, Nase und Zunge abgeschnitten. Crescentius wird enthauptet, sein Leichnam zur Abschreckung auf einem Berg bei Rom öffentlich aufgehängt. In Italien hagelt es angesichts dieser Grausamkeiten schnell herbe Kritik. Besonders der Eremit Nilus tadelt den Kaiser scharf. Otto III. unternimmt angesichts der Vorwürfe eine Bußwallfahrt zum Monte Gargano, wo er Nilus in seiner kargen Mönchsunterkunft besucht. Das Besondere daran: Otto III. unternimmt die Wallfahrt komplett barfüßig. Für einen Herrscher, der sich sonst in den prächtigsten Stoffen kleidet, ist das eine krasse Form der Selbstdemütigung. Denn die Kleidung ist im Mittelalter auch immer ein Zeichen für den Rang einer Person – und mit blanken Füßen will sich eigentlich niemand in der Öffentlichkeit zeigen. Doch zur Vergebung seiner Sünden muss der Kaiser sich auf diese Weise als demütiger und sündiger Christ zeigen.
Die Bußübungen Kaiser Ottos III. mit seinen Vertrauten
Im Fall der Wallfahrt Kaiser Ottos III. ist ein konkretes Fehlverhalten des Herrschers der Anlass für die kaiserliche Selbstdemütigung. Doch auch ohne konkreten Grund übt sich der Kaiser in Demut – und demonstriert so seine Befähigung zur Herrschaft. Denn für Otto und seine Zeitgenossen besteht ein Zusammenhang zwischen Erniedrigung (humilitatio) und Erhöhung (exaltatio): Nur wer sich selbst zuvor erniedrigt, kann später zu wahrer Größe aufsteigen. Die Bußübungen Kaiser Ottos III. dauern teilweise mehrere Tage: So wird berichtet, dass Otto sich mit dem Bischof Franco von Worms ganze zwei Wochen in eine Höhle in Rom zurückgezogen habe, wo die beiden barfuß und im einfachen Gewand die Zeit mit Beten und Fasten verbringen. Auch hier legt Otto III. seine kostbaren kaiserlichen Gewänder ab und leistet Buße für seine Sünden.
Heinrich II. zwischen zwei Bischöfen im Seeoner Pontifikale (Bamberg, Staatsbibliothek, lit 53, fol. 2v.) Der erhöhte Rang Heinrichs drückt sich auch in den Größenverhältnissen aus - Heinrich ist deutlich größer als die Bischöfe. (Abbildung: Wikimedia Commons) |
König Heinrich II. und die Reliquien des hl. Mauritius
Auch König Heinrich II. tritt barfüßig auf und erniedrigt sich so selbst. In Magdeburg, so berichtet Thietmar von Merseburg, trägt er Ende Februar 1004 in eisiger Kälte barfuß die Reliquien des hl. Mauritius von einem Kloster in die Domkirche. König Heinrich II. zeigt so allen Umstehenden seine Demut gegenüber dem Heiligen. Gleichzeitig bittet er um Vergebung seiner Sünden, denn kurz zuvor hatte Heinrich II. ein Bündnis mit zwei heidnischen Stämmen geschlossen, die zwischen Elbe und Oder leben. Das war bei seinen christlichen Zeitgenossen nicht besonders positiv aufgenommen worden. Heinrich II. begegnet seinen Kritikern, indem er sich in Magdeburg demonstrativ als demütiger Herrscher präsentiert, der die christlichen Herrschertugenden achtet. Die Selbstdemütigung gegenüber dem sächsischen Hauptheiligen ist hierfür das sichtbarste Zeichen.
Die Bischöfe und der Zwang des Fußfalls
Barfüßigkeit und einfache Kleidung sind nicht die einzigen Ausdrucksformen eines demütigen Herrschers. Auch der Fußfall eines ranghohen Herrschers oder Fürsten ist eine Form der Selbstdemütigung. Besonders in politischen Auseinandersetzungen greifen Herrscher in der Ottonenzeit auf den Fußfall zurück, um so ihren Willen durchzusetzen. Ein Beispiel: Als sich die Bischöfe von Hildesheim und Mainz treffen und um das Kloster Gandersheim streiten, fällt der Erzbischof Aribo von Mainz dem Hildesheimer Bischof plötzlich zu Füßen. Der Fußfall des Erzbischofs ist eine besonders krasse Form der Selbstdemütigung und eigentlich hat der Hildesheimer Bischof jetzt keine andere Wahl mehr, als die demütige Bitte des Mainzer Erzbischofs zu gewähren. Eigentlich! Denn der Bischof von Hildesheim wirft sich nun einfach seinerseits auch noch vor den schon auf dem Boden liegenden Mainzer Erzbischof. Die beiden Geistlichen verharren in dieser Position – und kommen zu keiner Einigung.
Kaiser Heinrich II. hat im Bamberger Dom, seiner Gründung, seine letzte Ruhe gefunden. Der Weg zur Bistumsgründung war ziemlich steinig für Heinrich II. (Abbildung: Wikimedia Commons, Reinhard Kirchner) |
König Heinrich II. und die Synode von Frankfurt
Auch König Heinrich II. nutzt den Fußfall als gezieltes Mittel, um durch diese Selbsterniedrigung seine Wünsche durchzusetzen. Im Jahr 1007 hat er vor allem einen Wunsch: Er möchte in Bamberg ein neues Bistum gründen. Doch dazu braucht er die Zustimmung der Erzbischöfe und Bischöfe des Reiches. Und die sind nicht alle begeistert von Heinrichs Bistumsplänen, schließlich bedeutet ein neues Bistum auch, dass einige existierende Bistümer Gebiete und Rechte verlieren werden. König Heinrich II. trifft sich in Frankfurt mit den Bischöfen seines Reiches, um sie von seinem Plan zu überzeugen. Gleich zu Beginn der Synode fällt der König den versammelten Geistlichen zu Füßen – und setzt sie durch diese Demutsgeste sofort unter Druck: Die Selbsterniedrigung König Heinrichs II. macht es den Geistlichen eigentlich unmöglich, die demütige Bitte des Herrschers abzulehnen. Der König nutzt dieses Wissen geschickt: Sobald im weiteren Verlauf der Versammlung auch nur der leiseste Einwand gegen seinen Bistumsplan aufkommt, wirft sich Heinrich II. den Bischöfen erneut zu Füßen. Heinrich hat Erfolg: Er darf sein neues Bistum in Bamberg gründen, die Bischöfe können ihm die demütige Bitte nicht abschlagen.
Literatur
Althoff, Gerd: Die Macht der Rituale. Symbolik und Herrschaft im Mittelalter, Darmstadt 2003.
Althoff, Gerd: Otto III. Darmstadt 1996.
Bornscheuer, Lothar: Miseriae Regnum. Untersuchungen zum Krisen- und Todesgedanken in den herrschaftstheologischen Vorstellungen der ottonisch-salischen Zeit, Berlin 1968 (=Arbeiten zur Frühmittelalterforschung 4).
Schreiner, Klaus: „Nudis pedibus.“ Barfüßigkeit als religiöses und politisches Ritual, in: Althoff, Gerd (Hg.): Formen und Funktionen öffentlicher Kommunikation. Stuttgart 2001, S. 43-124 (=Vorträge und Forschungen 51).
Stollberg-Rilinger, Barbara: Knien vor Gott, Knien vor dem Kaiser: Zum Ritualwandel im Konfessionskonflikt, in: Althoff, Gerd (Hg.): Zeichen, Rituale, Werte. Internationales Kolloquium des Sonderforschungsbereichs 496 an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, Münster 2004, S. 501-533.
Weinfurter, Stefan: Das Demutsritual als Mittel zur Macht. König Heinrich II. und seine Selbsterniedrigung 1007, in: Ambos, Claus [u.a.] (Hg.): Die Welt der Rituale. Darmstadt 2005, S. 45-50.
Weinfurter, Stefan: Heinrich II. (1002–1024). Herrscher am Ende
der Zeiten, Regensburg 1999.
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