Kulturgeschichte
Die Statue der Kapitolinische Wölfin: Ein antikes Meisterwerk?
August 03, 2016
Kaum ein antiker Mythos ist so
bekannt wie die Gründungsgeschichte Roms: Die Zwillinge Romulus und Remus,
Söhne einer Königstochter und des Kriegsgottes Mars, werden vom König ihrer
Heimatstadt am Tiber ausgesetzt. Der König Amulius fürchtet um seine
Herrschaft, denn Romulus und Remus sind die Enkel seines Vorgängers – den
Amulius vom Thron gestoßen hat! Das Schicksal meint es gut mit den Zwillingen:
Ihr Floß wird ans Ufer getrieben, eine Wölfin nimmt sich der Babys an und säugt
sie. Zu Männern herangewachsen töten sie Amulius und gründen eine eigene Stadt:
Rom. Dort erinnert man sich auch heute noch dieser Legende: In den
Kapitolinischen Museen kann man zum Beispiel die antike Bronzefigur einer
Wölfin bestaunen, die Romulus und Remus säugt. Doch was hat diese antike Statue
mit dem Mittelalter zu tun?
Eine überraschende Entdeckung zum Alter der Kapitolinischen Wölfin
Seit dem 18. Jahrhundert war man
sich eigentlich einig: Die Bronzefigur ist im 5. Jahrhundert vor Christus in
einer etruskischen Werkstatt entstanden und war die nächsten Jahrhunderte an
öffentlichen Plätzen in Rom aufgestellt. So berichtet zum Beispiel Cicero von
der Statue einer Wölfin, die im Jahr 65 v. Chr. von einem Blitz getroffen
wurde. Im 16. Jahrhundert hat die Wölfin schließlich ihren Platz im
Konservatorenpalast auf dem Kapitol gefunden, dem heutigen Kapitolinischen
Museum.
Die Kapitolinische Wölfin - ziemlich strenger Blick! (Abbildung: Wikimedia Commons, Jastrow) |
Als jedoch das Kunstwerk 1997
restauriert wird, fällt den Forschern etwas auf: Die Wölfin wurde nicht aus
einzelnen Teilen zusammengefügt, sondern in einem Stück gegossen – diese
Herstellungstechnik war jedoch erst im Mittelalter verbreitet. Es ist
verblüffend: Der Braunschweiger Löwe aus dem 12. Jahrhundert und die
Kapitolinische Wölfin wurden mit der gleichen mittelalterlichen Gusstechnik
hergestellt. Ist die Skulptur der Wölfin also ein Indiz für „Hightech aus der
Antik“? Ein weiteres Beispiel für antikes Technikwissen, das erst Jahrhunderte
später wiederentdeckt wird?
Der Braunschweiger Löwe wurde im 12. Jahrhundert mit der selben Gusstechnik wie die Kapitolinische Wölfin hergestellt (Abbildung: Wikimedia Commons, Brunswyk) |
Aufschluss über das tatsächliche
Alter der Figur gibt dann 2012 eine Radiokarbon-Untersuchung: Die
Bronzeskulptur entstand erst im 11. oder 12. Jahrhundert! Doch wenn die Figur
erst im Mittelalter entstand – welche Wölfin hat dann Cicero gesehen?
Vielleicht hat es sich so zugetragen: Es gibt im antiken Rom eine Statue einer
Wölfin, die jedoch im Mittelalter nach Konstantinopel gebracht wird. Dort
schmilzt man sie 1204 ein. In Rom fertigt man dagegen im späten 12. Jahrhundert
eine neue Statue an – eben jene, die heute in den Kapitolinischen Museen zu
sehen ist.
Wieso stellen die Römer eine neue Kapitolinische Wölfin her?
Doch wieso macht man sich damals
in Rom die Mühe, eine verlorene antike Bronzestatue neu zu gießen? Die
Rückbesinnung auf die Antike ist nicht allein künstlerisch zu verstehen,
sondern vor allem auch politisch: In den Jahren 1143/1144 kommt es in Rom zu
Aufständen der Stadtbevölkerung gegen die Stadtherrschaft des Papstes. Die römischen
Bürger besinnen sich ihrer antiken Vergangenheit und errichten einen neuen
Senat, der von nun an vom Kapitol aus die Geschicke der Stadt lenken sollte.
Die mittelalterliche Nachbildung der Wölfin ist damit ein klares Signal an den
Papst: Die Römer sehen sich als Nachfahren von Romulus und Remus, als freie und
selbstbestimmte Bürger.
Mittelalterliche Rückbesinnung auf die Antike: Die Kapitolinische Wölfin in voller Größe (Abbildung: Wikimedia Commons, Jastrow) |
Literatur zur Kapitolinischen Wölfin
Radnoti-Alföldi, Maria/Formigli,
Edilberto/Fried, Johannes: Die römische Wölfin. Ein antikes Monument stürzt von seinem Sockel, Stuttgart 2011.
Hase-Salto, Maria Aurora von: Ein Werk des Mittelalters. Neue Erkenntnisse über die Kapitolinische Wölfin, in: Antike Welt 43,5 (2012), S. 53-56.
Johrendt, Jochen/Schmitz-Esser,
Romedio (Hg.): Rom – Nabel der Welt. Macht, Glaube, Kultur von der Antike bis heute, Darmstadt 2010.
Petersohn, Jürgen: Kaisertum und Rom in spätsalischer und staufischer Zeit. Romidee und Rompolitik von Heinrich V. bis Friedrich II., Hannover 2010, S. 80-109.
1 Kommentare
"Rhea Sylvia wandelt, die fürstliche Jungfrau, der Tyber
AntwortenLöschenWasser zu schöpfen hinab, und sie ergreifet der Gott.
So erzeugte sich Mars zwey Söhne! – die Zwillinge tränket
Eine Wölfinn, und Rom nennt sich die Fürstin der Welt..."