Bayern
Frühmittelalter
Herrscher
Karl der Große
Herzog Tassilo III. von Bayern (748–788)
Juli 20, 2016
Albrecht der Entartete, Johanna
die Wahnsinnige oder Otto der Faule – wenn es um Beinamen für mittelalterliche
Herrscher geht, kennen Zeitgenossen und Nachwelt oft wenig Gnade. Und nur
wenige kommen so gut weg wie etwa Karl der Große. Der bayerische Herzog Tassilo
III. (748–788) wird zum Beispiel in der Erinnerung oft reduziert auf seine
Niederlage im Konflikt mit eben jenem Karl: Tassilo III.,
der Verlierer. In mittelalterlichen Sagen und Legenden liest sich das
Schicksal Tassilos wie eine klassische Tragödie: Aufstieg zu enormer Machtfülle
als Herzog von Bayern – Konflikt mit dem mächtigen König Karl dem Großen – und
schließlich Absturz zum geschorenen und geblendeten Greis in einem Kloster. Ihr
dramatisches Potential verdanken diese Erzählung natürlich der enormen Fallhöhe
Herzog Tassilos. Wie mächtig und erfolgreich war Tassilo III. als Herzog von
Bayern also?
Statue Herzog Tassilos III. über dem Eingang zum innere Hof des Stiftes Kremsmünster (Abbildung: Wikimedia Commons, Walter Isack) |
Beste Voraussetzungen für den jungen Herzog von Bayern
Bei seinem Herrschaftsantritt im
Jahr 748 kann sich der junge Herzog Tassilo III. auf großen Grundbesitz und
eine vielköpfige Gefolgschaft stützen. Beides hat ihm sein Vater, Herzog Odilo
aus der Familie der Agilolfinger, hinterlassen. Eigenständig Schalten und
Walten kann Tassilo aber erst ab 757 – erst dann ist er volljährig. Geboren
wurde Tassilo also wohl um 741, doch sein genaues Geburtsjahr kennen wir nicht.
Dafür sind wir über die rechtliche Stellung des bayerischen Herzogs ziemlich
gut im Bilde. In der Lex Baiuvariorum,
dem Volksrecht der Bajuwaren aus dem 8. Jahrhundert, heißt es:
„Der Herzog, der im Volk an der Spitze steht, ist immer aus dem Geschlecht der Agilolfinger gewesen und soll es sein, denn so haben es die Könige unserer Vorgänger ihnen bewilligt.“ (Zit. nach Rosenstock, 1928, S. 30).
Auch um die Kirche steht es im Herzogtum bestens: Odilo
hat mit den Bistümern Regensburg, Passau, Freising und Salzburg die noch heute
bestehende Kirchenorganisation für Bayern geschaffen. Zwischen Herzog und
Kirche bestehen enge Bande, Tassilo III. betrachtet sich dementsprechend selbst
als Herr über die bayerische „Herzogskirche“ (Wilhelm Störmer).
Drei bayerische Synoden unter Herzog Tassilo III.
Diese Stellung zeigt sich
nirgends klarer als bei der Einberufung von Synoden, also von Versammlungen der
wichtigen Geistlichen (Bischöfe, Äbte und dergleichen). Gleich drei bayerische
Synoden beruft Tassilo III. ein: Nach Aschheim (756), nach Dingolfing (770 oder
777) und nach Neuching (771). Auf diesen Versammlungen beschließen die Geistlichen
zusammen mit dem Herzog neue Regeln und Maßnahmen für eine Vielzahl von Themen:
Frauen sollen besser geschützt werden, Inzestehen sollen verboten sein, der
Herzog soll zukünftig für die Kirche die Abgaben eintreiben, Geistliche sollen
den ordnungsgemäßen Ablauf von Gerichtsverfahren überwachen und die Bischöfe
wollen dafür sorgen, dass Mönche und Nonnen ihrem Gelübde entsprechend leben. Zwar
können nicht alle dieser Ziele auch verwirklicht werden, doch insgesamt sind
die Kirchenversammlungen ein deutliches Zeichen des politischen und religiösen
Gestaltungswillens Herzog Tassilos III. in Bayern.
Klostergründungen durch Herzog Tassilo III.
Herausragende Leistungen
vollbringt Tassilo III. auch als Gründer von Klöstern in Bayern: An der
Gründung von insgesamt etwa 15 Klöstern war Tassilo beteiligt. Aus einer
Urkunde wissen wir zum Beispiel, dass der Herzog im Jahr 769 dem Abt Atto von
St. Peter in Scharnitz den Ort Innichen im Pustertal geschenkt hat, um dort ein
Benediktinerkloster zu errichten. Für das Kloster Kremsmünster lässt sich der
Text einer solchen Gründungsurkunde zumindest rekonstruieren: Tassilo gründet
dieses Kloster im Jahr 777. Noch heute wird im Kloster jedes Jahr am 11.
Dezember in Erinnerung an Herzog Tassilo III. ein „Stiftertag“ gefeiert. Auf
der Fraueninsel erinnert eine gigantische Linde an den Klostergründer.
Die Tassilolinde auf der Fraueninsel |
Tassilo als legendärer Klostergründer
Auch das Kloster Mattsee soll
eine Gründung Tassilos III. sein, allerdings hat sich keine Gründungsurkunde erhalten
– das macht die Sache natürlich ein wenig komplizierter. Schon im Mittelalter wissen
selbst die Mönche von Mattsee nicht mehr genau, wann und von wem ihr Kloster
eigentlich gegründet wurde. Im 14. Jahrhundert greift der Geschichtsschreiber
Christian Gold, selbst Kleriker im Kloster Mattsee, deshalb zu einem kleinen
Trick: Er kopiert einfach die bekannte Gründungsgeschichte und die
Gründungsdaten des Klosters Kremsmünster und macht so auch Kloster Mattsee zu
einer Gründung Herzog Tassilos III. aus dem Jahr 777. Die moderne Forschung
(Wilhelm Erben) hat die Fälschungsarbeit Christian Golds zwar entlarvt, doch
wahrscheinlich war Herzog Tassilo III. tatsächlich an der Gründung des Klosters
beteiligt. Mattsee ist kein Einzelfall: Viele bayerische Klöster führen sich
auf Herzog Tassilo III. als Gründer zurück – und oft lässt sich nicht
entscheiden, ob es sich dabei um Legende oder Wahrheit handelt.
Das Torhaus im Kloster Frauenchiemsee stammt aus der Zeit Herzog Tassilos III. |
Unterwerfung der Karantanen
Herzog Tassilo III. feiert auch
militärische Erfolge. Mit der Unterwerfung der Karantanen im Jahr 772 gelingt
die Vergrößerung seines Machtbereichs nach Osten. Doch Tassilo geht es um mehr
als nur räumliche Expansion: Seine Kriegszüge sollen auch die Missionierung der
Alpenslawen zum Christentum ermöglichen. Wie wichtig den Zeitgenossen solche
Kriegszüge als Gradmesser für den Erfolg von Tassilos Herrschaft sind, zeigt
sich im Brief eines gewissen Clemens aus dem Jahr 772. Clemens wünscht sich für
Tassilo große Erfolge im Kampf gegen die Ungläubigen:
„Möge unser Herr mit Tassilo sein, so wie er mit Abraham war, der die Könige der fünf Völker verfolgt hat und zurückkehrte mit Sieg und Beute. Möge der allmächtige Herr ein Kämpfer für dich [Tassilo] sein, so wie er es für Moses und Josua, den Sohn des Nun, war, die über die Amalekiter triumphiert haben. […] Möge der Herr deine Feinde töten in deinem Angesicht so wie er viele Völker im Angesicht der Söhne Israels getötet hat.“ (MGH Epistolae. 4, ed.E. Dümmler, S. 496-497, hier S. 496 Z. 22-25 und Z. 26-27)
Der Tassilokelch: Zeichen von Tassilos herausragender Stellung
Die Erfolge Tassilos im
kirchlichen und militärischen Bereich sind ziemlich beeindruckend und
dementsprechend groß war sein Ansehen und seine Stellung. Die Liste der Beispiele für die besondere Stellung Herzog Tassilos III. ist lang: In Salzburg entsteht während der Herrschaftszeit Tassilos ein gigantischer Dom. Die alte Römerstadt Regensburg wird zum Herrschaftszentrum mit urbaner Infrastruktur ausgebaut. Tassilos Herzogtitel gleicht der Form nach dem Königstitel Karls des Großen. Der Sohn Tassilos wird 772 in Rom vom Papst höchstpersönlich getauft und gesalbt. Das anschaulichste
Zeichen für den herausragenden Rang Herzog Tassilos III. ist der sogenannte
Tassilokelch. Die Inschrift auf dem Kelch spricht Bände:
„TASSILO, TAPFERER HERZOG + LIUTPIRG, KÖNIGLICHER SPROSS“
Das Herzogsehepaar strebt in der
Herrschaftsrepräsentation einer königsnahen Sphäre entgegen.
Der Tassilokelch ist ein eindrucksvolles Beispiel für die Blüte der Kunst unter Herzog Tassilo III. von Bayern (Abbildung: Wikimedia Commons, Andreas Püttman) |
Warum kann sich Tassilo dann eigentlich nicht gegen Karl den Großen durchsetzen?
Angesichts seiner Erfolge und
seiner herausragenden Stellung scheint diese Frage nicht ganz unangebracht. Wieso
kann Karl den bayerischen Herzog 788 relativ zügig auf gerichtlichem Wege
absetzen? Wieso kommt es nicht zu größerem militärischen Widerstand in Bayern?
Eine mögliche Antwort: Herzog Tassilo hat schon vor seiner Absetzung die
Unterstützung des bayerischen Adels und Klerus verloren. Tassilo begeht offenbar
einen fatalen Fehler: Er beteiligt den bayerischen Adel nicht an der Beute, die
er bei seinen militärischen Siegen macht – ganz im Gegensatz zu Karl dem
Großen. Egal ob bei den Eroberungen in Italien oder Sachsen, Karl entlohnt
seine adeligen Mitstreiter stets angemessen. Als der bayerische Adel sich
schließlich 788 zwischen Tassilo und Karl dem Großen entscheiden muss, gibt wohl
auch die Aussicht auf zukünftige Beute den Ausschlag für den karolingischen
Herrscher – und Herzog Tassilo III. wird so zum Verlierer.
Literatur
Bouzek, Helmut: Art. „Tassilo III., ‚der Verlierer‘“, Ökumenisches Heiligenlexikon.
Dopsch, Heinz: Zur
Gründung der Abtei Mattsee. Die erste Klosterstiftung Herzog Tassilos III.?,
in: Kolmer, Lothar/Rohr, Christian (Hg.) Tassilo III. von Bayern. Großmacht und
Ohnmacht im 8. Jahrhundert, Regensburg 2005, S. 211-236.
Erkens,
Franz-Reiner: Summus princeps und dux quem rex ordinavit: Tassilo III. im
Spannungsfeld von fürstlichem Selbstverständnis und königlichem Auftrag, in:
Kolmer, Lothar/Rohr, Christian (Hg.) Tassilo III. von Bayern. Großmacht und
Ohnmacht im 8. Jahrhundert, Regensburg 2005, S. 9-20.
Freund, Stephan:
Von den Agilolfingern zu den Karolingern. Bayerns Bischöfe zwischen
Kirchenorganisation, Reichsintegration und karolingischer Reform (700 – 847),
München 2004 (=Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte 144).
Garrison,
Mary: Letters to a king and biblical exempla: the examples of Cathuulf and
Clemens Peregrinus, in: Early Medieval Europa 7 (1998), S. 305-328.
Lohmer, Christian:
Mythos Agilolfinger. Das Nachleben der Bayernherzöge in Mittelalter und
Neuzeit, in: Kolmer, Lothar/Rohr, Christian (Hg.) Tassilo III. von Bayern.
Großmacht und Ohnmacht im 8. Jahrhundert, Regensburg 2005, S. 191-210.
Rosenstock, Eugen:
Unser Volksname Deutsch und die Aufhebung des Herzogtums Bayern. In: Siebs,
Theodor (Hg.): Mitteilungen der schlesischen Gesellschaft für Volkskunde, Bd.
29, Breslau 1928, S. 1-66.
Störme, Wilhelm:
Die bayerische Herzogskirche. Eberhard Weis zu 65. Geburtstag, in: Dickerhof,
Harald [u.a.] (Hg.): Der hl. Willibald – Klosterbischof oder Bistumsgründer.
Regensburg 1990, S. 115-142 (=Eichstätter Studien. Neue Folge, Band XXX).
Zehrfeld, Klaus:
Karl der Große gegen Herzog Tassilo III. von Bayern. Der Prozess vor dem
Königsgericht in Ingelheim 788, Regensburg 2011.
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