Kleidung im Mittelalter: Streitobjekt Schnabelschuh

Kleidung im Mittelalter: Streitobjekt Schnabelschuh Der Schwarze Tod, die große Pestepidemie von 1348/1349, war kaum überwunden...

Kleidung im Mittelalter: Streitobjekt Schnabelschuh

Der Schwarze Tod, die große Pestepidemie von 1348/1349, war kaum überwunden, so schreibt Tilemann Elhen von Wolfhagen Ende des 14. Jahrhunderts in seiner Chronik, da „hob die Welt wieder an zu leben und fröhlich zu sein und die Männer trugen ganz neue Kleidung“ (Limburger Chronik, S. 38). Die Röcke der Männer werden zu dieser Zeit kürzer und enger als je zuvor. Und auch die Schuhmode entfaltete eine bisher unbekannte Extravaganz: Die „langen Schnäbeln an den Schuhen“ („langen snebel an den schuwen“, Limburger Chronik, S. 39) sind damals der neueste Schrei der mittelalterlichen Mode. Schon seit dem 11. Jahrhundert hatten Schuster solche Spitzschuhe hergestellt, doch erst im 14. Jahrhundert entwickelt sich die übermäßige Verlängerung zum absoluten Trend bei Mittelalterkleidung.

Das modische Highlight im 14. Jahrhundert: Der Schnabelschuh.
(Illustration aus einer Handschrift des "Renaud de Montauban, Abbildung: Wikimedia Commons)

Adel verpflichtet … zur aktuellen Mittelaltermode

Schnabelschuhe erfreuen sich im späten Mittelalter als Kleidung vor allem beim Adel größter Beliebtheit. Die langen Schuhspitzen zwingen zu einer langsamen und dadurch besonders würdevollen Fortbewegung. Wer es sich leisten kann, langsam und gravitätisch durch die Gassen zu schreiten, der setzt sich so auf simple Weise von den geschäftig herumwuselnden einfachen Menschen ab. Die repräsentativen Schnabelschuhe sind damit vor allem ein Mittel zur sozialen Distinktion.

Wer in der höfischen Welt etwas auf sich hält, der trägt im 15. Jahrhundert spitze Schnabelschuhe - so wie diese Diener.
(Illustration aus einer Handschrift des "Renaud de Montauban, Abbildung: Wikimedia Commons)

Modekritik im Mittelalter

Damit zieht die neue Mode natürlich auch Kritik auf sich. Schon im 12. Jahrhundert vergleicht Ordericus Vitalis (1075–1142) die langen Schuhspitzen mit Schwänzen von Skorpionen. Die Schuhe seien ein Zeichen von Hochmut bzw. Stolz (superbia). Das ist im Mittelalter ein ziemlich harter Vorwurf, immerhin gilt Hochmut als eine der sieben Todsünden. Auch der österreichische Dichter Peter Suchenwirt (1320–1395) kritisiert die neue Form der Kleidung: „Gott gab Dir als Lehen nach seinem Bild die Zehen, die formst Du nach anderer Gestalt lang und spitz und mannigfalt, so krumm wie die Nase des Teufels“ (zit. nach Keupp, 2010, S. 57). Bei dieser Kritik am Schnabelschuh geht es nicht in erster Linie um gesundheitliche Bedenken wegen der wenig ergonomischen Form des Schuhwerks. Viel wichtiger ist dem mittelalterlichen Autor ein religiöser Vorwurf: Jeder Träger eines solch unnatürlich verformten Schuhs versündigt sich gegen die Schöpfung – und damit gegen die göttliche Ordnung. Dem Menschen steht es schließlich nicht zu, den gottgeschaffenen Körper eigenhändig auf solche Weise durch Kleidung zu verändern.

Kleidung im Mittelalter und der Zorn Gottes

Und Gott schlägt tatsächlich zurück, so berichtet jedenfalls Benesch von Weitmühl (gest. 1375), ein böhmischer Historiker: Als der Burggraf Albert von Slawetin sich in seinen überlangen Schnabelschuhen nach der neuesten Mode zeigt, trennt ein Blitzeinschlag ihm die Schuhspitzen ab. Doch auch diese himmlische Botschaft ändert nichts an der modischen Kleidung: „Obschon dieses große Wunder allen Menschen klar vorlag, hörte niemand mit der Eitelkeit auf, sondern sie hoben ihre Nacken gegen Gott und trugen weiter kurze Röcke und Schnabelschuhe“ (zit. nach Keupp, 2010, S. 58). Benesch von Weitmühl unterstreicht seine Kritik an der mittelalterlichen Mode zusätzliche durch eine Anekdote: In einem Gefecht zwischen böhmischen und sächsischen Reitertruppen werden die Böhmer „wegen der engen Röcke und der Schnabelschuhe von den Feinden besiegt, gefangen und grausam niedergemetzelt“ (zit. nach Keupp, 2010, S. 57). Die Böhmer hätten mal lieber ihre Schnabelschuhe zu Hause gelassen, so bemerkt Bensch von Weitmühl höhnisch.

Schnabelschuh aus Spanien, 15. Jahrhundert (Museum für angewandte Kunst, Frankfurt am Main).

Alte Schuhe und neue Modetrends: Der Wandel der Kleidung im Mittelalter

Schnabelschuhe bleiben trotzdem der größte modische Trend im 14. Jahrhundert. Daran können auch die unzähligen Kleiderordnungen nichts ändern, die immer wieder die Kleidung der Menschen strengen Regeln unterwerfen wollen. Die Speyerer Kleiderordnung von 1356 verbietet den Bürgern der Stadt ausdrücklich, einen spitzen Schnabel an den Schuhen zu tragen. Auch die Schuster wurden in die Pflicht genommen: Sie sollten auf keinen Fall solche extravaganten Schnabelschuhe herstellen. Die Mode der spitzen Schuhe geht erst im späten 15. Jahrhundert zu Ende als mit den Bärenklauen eine neue Schuhform aufkommt. Das Pendel schlägt in die andere Richtung aus: Statt überlangen Spitzen sind im 16. Jahrhundert eher klobige und breite Schuhe in Mode.

Quellen

Die Limburger Chronik des Tilemann Elhen von Wolfhagen, hg. von Arthur Wyss, MGH Dt. Chron. 4,1, Hannover 1883.

Literatur

Keupp, Jan: Die Wahl des Gewandes. Mode, Macht und Möglichkeitssinn in Gesellschaft und Politik des Mittelalters, Ostfildern 2010 (=Mittelalter-Forschungen, Bd. 33).
Wolter, Gundula: Teufelshörner und Lustäpfel. Modekritik in Wort und Bild 1150–1620, Marburg 2002.

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