Kulturgeschichte
Spätmittelalter
Kleidung im Mittelalter: Streitobjekt Schnabelschuh
Juli 06, 2016
Der Schwarze Tod, die große
Pestepidemie von 1348/1349, war kaum überwunden, so schreibt Tilemann Elhen von
Wolfhagen Ende des 14. Jahrhunderts in seiner Chronik, da „hob die Welt wieder
an zu leben und fröhlich zu sein und die Männer trugen ganz neue Kleidung“
(Limburger Chronik, S. 38). Die Röcke der Männer werden zu dieser Zeit kürzer
und enger als je zuvor. Und auch die Schuhmode entfaltete eine bisher
unbekannte Extravaganz: Die „langen Schnäbeln an den Schuhen“ („langen snebel an den schuwen“, Limburger
Chronik, S. 39) sind damals der neueste Schrei der mittelalterlichen Mode. Schon
seit dem 11. Jahrhundert hatten Schuster solche Spitzschuhe hergestellt, doch
erst im 14. Jahrhundert entwickelt sich die übermäßige Verlängerung zum
absoluten Trend bei Mittelalterkleidung.
Das modische Highlight im 14. Jahrhundert: Der Schnabelschuh. (Illustration aus einer Handschrift des "Renaud de Montauban, Abbildung: Wikimedia Commons) |
Adel verpflichtet … zur aktuellen Mittelaltermode
Schnabelschuhe erfreuen sich im späten Mittelalter als Kleidung vor allem beim Adel größter Beliebtheit. Die
langen Schuhspitzen zwingen zu einer langsamen und dadurch besonders würdevollen
Fortbewegung. Wer es sich leisten kann, langsam und gravitätisch durch die
Gassen zu schreiten, der setzt sich so auf simple Weise von den geschäftig
herumwuselnden einfachen Menschen ab. Die repräsentativen Schnabelschuhe sind
damit vor allem ein Mittel zur sozialen Distinktion.
Wer in der höfischen Welt etwas auf sich hält, der trägt im 15. Jahrhundert spitze Schnabelschuhe - so wie diese Diener. (Illustration aus einer Handschrift des "Renaud de Montauban, Abbildung: Wikimedia Commons) |
Modekritik im Mittelalter
Damit zieht die neue Mode
natürlich auch Kritik auf sich. Schon im 12. Jahrhundert vergleicht Ordericus
Vitalis (1075–1142) die langen Schuhspitzen mit Schwänzen von Skorpionen. Die
Schuhe seien ein Zeichen von Hochmut bzw. Stolz (superbia). Das ist im Mittelalter ein ziemlich harter Vorwurf,
immerhin gilt Hochmut als eine der sieben Todsünden. Auch der österreichische
Dichter Peter Suchenwirt (1320–1395) kritisiert die neue Form der Kleidung: „Gott gab Dir als Lehen nach seinem Bild die
Zehen, die formst Du nach anderer Gestalt lang und spitz und mannigfalt, so
krumm wie die Nase des Teufels“ (zit. nach Keupp, 2010, S. 57). Bei dieser
Kritik am Schnabelschuh geht es nicht in erster Linie um gesundheitliche
Bedenken wegen der wenig ergonomischen Form des Schuhwerks. Viel wichtiger ist
dem mittelalterlichen Autor ein religiöser Vorwurf: Jeder Träger eines solch
unnatürlich verformten Schuhs versündigt sich gegen die Schöpfung – und damit
gegen die göttliche Ordnung. Dem Menschen steht es schließlich nicht zu, den
gottgeschaffenen Körper eigenhändig auf solche Weise durch Kleidung zu verändern.
Kleidung im Mittelalter und der Zorn Gottes
Und Gott schlägt tatsächlich
zurück, so berichtet jedenfalls Benesch von Weitmühl (gest. 1375), ein böhmischer
Historiker: Als der Burggraf Albert von Slawetin sich in
seinen überlangen Schnabelschuhen nach der neuesten Mode zeigt, trennt ein
Blitzeinschlag ihm die Schuhspitzen ab. Doch auch diese himmlische Botschaft ändert
nichts an der modischen Kleidung: „Obschon dieses große Wunder allen Menschen
klar vorlag, hörte niemand mit der Eitelkeit auf, sondern sie hoben ihre Nacken
gegen Gott und trugen weiter kurze Röcke und Schnabelschuhe“ (zit. nach Keupp,
2010, S. 58). Benesch von Weitmühl unterstreicht seine Kritik an der
mittelalterlichen Mode zusätzliche durch eine Anekdote: In einem Gefecht
zwischen böhmischen und sächsischen Reitertruppen werden die Böhmer „wegen der
engen Röcke und der Schnabelschuhe von den Feinden besiegt, gefangen und
grausam niedergemetzelt“ (zit. nach Keupp, 2010, S. 57). Die Böhmer hätten mal
lieber ihre Schnabelschuhe zu Hause gelassen, so bemerkt Bensch von Weitmühl
höhnisch.
Schnabelschuh aus Spanien, 15. Jahrhundert (Museum für angewandte Kunst, Frankfurt am Main). |
Alte Schuhe und neue Modetrends: Der Wandel der Kleidung im Mittelalter
Schnabelschuhe bleiben trotzdem
der größte modische Trend im 14. Jahrhundert. Daran können auch die unzähligen
Kleiderordnungen nichts ändern, die immer wieder die Kleidung der Menschen
strengen Regeln unterwerfen wollen. Die Speyerer Kleiderordnung von 1356
verbietet den Bürgern der Stadt ausdrücklich, einen spitzen Schnabel an den
Schuhen zu tragen. Auch die Schuster wurden in die Pflicht genommen: Sie
sollten auf keinen Fall solche extravaganten Schnabelschuhe herstellen. Die
Mode der spitzen Schuhe geht erst im späten 15. Jahrhundert zu Ende als mit den
Bärenklauen eine neue Schuhform aufkommt. Das Pendel schlägt in die andere
Richtung aus: Statt überlangen Spitzen sind im 16. Jahrhundert eher klobige und
breite Schuhe in Mode.
Quellen
Die Limburger Chronik des Tilemann Elhen von Wolfhagen, hg. von Arthur Wyss, MGH Dt. Chron. 4,1, Hannover 1883.
Literatur
Keupp, Jan: Die Wahl des Gewandes. Mode,
Macht und Möglichkeitssinn in Gesellschaft und Politik des Mittelalters,
Ostfildern 2010 (=Mittelalter-Forschungen, Bd. 33).
Wolter, Gundula: Teufelshörner und
Lustäpfel. Modekritik in Wort und Bild 1150–1620, Marburg 2002.
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