Frühmittelalter
Kulturgeschichte
Papst
Die Leichensynode von 897
August 15, 2018
Zu Beginn des Jahres 897 erlebte die Stadt Rom ein schauriges Spektakel. Papst Stephan VI. (896–897) hatte den schon verwesenden Leichnam seines kürzlich verstorbenen Vorgängers Formosus (Papst 891–896) aus der Gruft holen lassen und machte dem Toten den Prozess. Stephan ließ den Leichnam in päpstliche Gewänder kleiden und auf dem Papstthron platzieren. Eine eigens einberufene Synode aus hohen Geistlichen sollte nun über Formosus und die ihm vorgeworfenen Verfehlungen urteilen.
Es war – kaum verwunderlich – ein Schauprozess. Formosus wird in einem dreitägigen Prozess förmlich angeklagt. Papst Stephan VI. selbst verhörte den Leichnam. Zwar bekam der tote Papst Formosus noch einen jungen Diakon als Verteidiger an die Seite gestellt, doch das Urteil stand schnell fest: Formosus wurde verurteilt, sein Leichnam entkleidet und man hackt ihm die Finger der rechten Hand ab, mit denen er zu Lebzeiten die Weihen erteilt hatte. Dann verscharrt man den zugerichteten Leichnam auf dem Fremdenfriedhof in Rom.
Doch das reichte Papst Stephan VI. offenbar noch nicht: Kurz darauf wird der Leichnam von Formosus erneut ausgegraben und in den Tiber geworfen. Ein Mönch soll den toten Papst anschließend aus dem Fluss geborgen haben und ließ ihn heimlich bestatten.
Doch was hatte Formosus verbrochen? Wodurch hatte er den Zorn seines Nachfolgers auf sich gezogen, der ihn sogar noch bis ins Grab verfolgte? Um das zu verstehen, müssen wir ein paar Jahre zurück gehen in die Zeit bevor Formosus Papst wurde.
Das lehnte jedoch Papst Nikolaus I. ab und berief sich dabei auf das sogenannte Translationsverbot: Ein Bischof war nach damaliger Vorstellung mit seinem Bistum verheiratet – wie eine Ehe war diese Verbindung unauflösbar. Deshalb durfte eigentlich (!) kein Bischof von einem Bistum in ein anderes Wechseln. Formosus galt seitdem als karrieregeiler Ehrgeizling – ein durchaus schwerer Vorwurf für einen Geistlichen der damaligen Zeit.
Papst Stephan VI. erhebt Anklage gegen seinen Vorgänger Formosus. So stellte sich zumindest der französische Maler Jean-Paul Laurens die Szene Ende des 19. Jahrhunderts vor. (Abbildung: Jean-Paul Laurens: Le Pape Formose et Etienne VI - Concile cadavérique de 897, Musée des Beaux-Arts, Nantes, entstanden 1870, via Wikimedia Commons, Aputró.) |
Es war – kaum verwunderlich – ein Schauprozess. Formosus wird in einem dreitägigen Prozess förmlich angeklagt. Papst Stephan VI. selbst verhörte den Leichnam. Zwar bekam der tote Papst Formosus noch einen jungen Diakon als Verteidiger an die Seite gestellt, doch das Urteil stand schnell fest: Formosus wurde verurteilt, sein Leichnam entkleidet und man hackt ihm die Finger der rechten Hand ab, mit denen er zu Lebzeiten die Weihen erteilt hatte. Dann verscharrt man den zugerichteten Leichnam auf dem Fremdenfriedhof in Rom.
Doch das reichte Papst Stephan VI. offenbar noch nicht: Kurz darauf wird der Leichnam von Formosus erneut ausgegraben und in den Tiber geworfen. Ein Mönch soll den toten Papst anschließend aus dem Fluss geborgen haben und ließ ihn heimlich bestatten.
Doch was hatte Formosus verbrochen? Wodurch hatte er den Zorn seines Nachfolgers auf sich gezogen, der ihn sogar noch bis ins Grab verfolgte? Um das zu verstehen, müssen wir ein paar Jahre zurück gehen in die Zeit bevor Formosus Papst wurde.
Der junge Formosus: Ein ehrgeiziger Bischof
Formosus war ab 884 Bischof von Portus, einer Gemeinde in der Gegend wo sich heute der Flughafen Roms befindet. In seiner Funktion als Bischof war Formosus unter anderem mit der Missionierung der Bulgaren beauftragt. Die konnten sich damals nämlich nicht zwischen Ost- und Westkirche entscheiden und benötigten theologischen Beistand bei ihrer Entscheidung. Formosus machte seine Aufgabe offenbar so gut, dass die Bulgaren ihn gleich direkt zu ihrem neuen Erzbischof machen wollten.Das lehnte jedoch Papst Nikolaus I. ab und berief sich dabei auf das sogenannte Translationsverbot: Ein Bischof war nach damaliger Vorstellung mit seinem Bistum verheiratet – wie eine Ehe war diese Verbindung unauflösbar. Deshalb durfte eigentlich (!) kein Bischof von einem Bistum in ein anderes Wechseln. Formosus galt seitdem als karrieregeiler Ehrgeizling – ein durchaus schwerer Vorwurf für einen Geistlichen der damaligen Zeit.
Vom abgesetzten Bischof zum Papst
Es kam noch schlimmer für Formosus: Papst Johannes VIII. verurteilte ihn 876 wegen der Beteiligung an einer Verschwörung gegen Kaiser Karl den Kahlen und den Papst. Formosus wurde exkommuniziert und aus seinem Amt enthoben. Zum Glück konnte Formosus sich aber auf einflussreiche Vertraute verlassen: Bereits 883/84 setzte Papst Marinus I. – ein alter Weggefährte – ihn wieder ein. Im Jahr 891 erreichte Formosus dann schließlich den Höhepunkt seiner Karriere: Er wurde zum Papst gewählt.Das Problem: Formosus hätte als Kardinalbischof von Portus eigentlich gar nicht zum Papst gewählt werden dürfen! Denn der Papst ist ja gleichzeitig auch Bischof von Rom – die Übernahme dieses Amtes widersprach jedoch eigentlich (!) dem strengen Translationsverbot. Wieso eigentlich? Bereits Papst Marinus war als Bischof zum Papst erhoben worden – das Translationsverbot wurde also bereits ein wenig aufgeweicht. Trotzdem zog die Wahl des Formosus Kritik hervor – ein Bischof als Papst war noch etwas Neues und Unerhörtes.
Machtkampf in Italien: Berengar gegen Wido
Damit nicht genug. Papst Formosus übernahm sein Amt in einer stürmischen Zeit: Die fränkischen Herrscher verloren zunehmend Einfluss in Italien und es kam zu Machtkämpfen zwischen rivalisierenden Adelsparteien: Markgraf Berengar I. von Friaul und Herzog Wido II. von Spoleto stritten um die Herrschaft in Italien. Schließlich besiegte Wido seine Gegner und krönte sich 889 selbst in Pavia zum König.Formosus nahm eine vorsichtige Haltung gegenüber Wido ein, krönte ihn aber auch 892 zum Kaiser und Widos Sohn Lambert zum Mitkaiser. Gleichzeitig nahm Formosus auch Kontakt zum fränkischen König Arnulf auf. Der Franke kam dann 894 auch tatsächlich nach Italien und räumte mächtig auf: Er besiegte Wido und ließ sich von Formosus zum Kaiser krönen. Formosus starb nur wenige Wochen nach der Krönung – der Stachel bei den Anhängern Widos saß da noch ziemlich tief. Der neue Papst, Stephan VI., erkannte zunächst Arnulf als Kaiser an, wechselte dann aber bald seine Meinung und unterstützte Widos Sohn Lambert.
Offene Konflikte nach dem Tod von Formosus
Es gab also allerhand offene Streitpunkte: Formosus war bereits einmal abgesetzt worden und hatte seine Bischofswürde vorrübergehend verloren. Die Wahl von Formosus war zudem stark umstritten. Eigentlich bestand ein Verbot, dass ein Bischof sein Bistum wechseln durfte – Formosus hätte also strenggenommen nicht Papst (und damit Bischof von Rom) werden dürfen. Darüber hinaus hatte die Krönung des fränkischen Königs Arnulf bei den unterlegenen Anhängern Widos von Spoleto böses Blut hinterlassen – sie warteten nur auf Rache.Diese drei Konflikte spiegelten sich in der Anklage wieder, die auf der Leichensynode gegen Formosus erhoben wurde:
- Formosus hatte bei seiner Wahl aus bösem Ehrgeiz gegen das Translationsverbot verstoßen.
- Formosus hatte einen Eid gebrochen, nie wieder nach Rom zurück zu kehren. Das hatte er im Rahmen seiner Absetzung als Bischof 878 schwören müssen.
- Formosus hatte seine Rückversetzung in den Laienstand durch Papst Johannes missachtet.
Papst Stephan VI. als befangener Ankläger
Zusätzlich hatte Papst Stephan VI. auch ein sehr persönliches Interesse daran, Formosus zu verurteilen. Denn auch Stephan selbst war vor seiner Wahl zum Papst ein Bischof gewesen! Geweiht hatte ihn niemand geringeres als Formosus selbst! Damit hätte sich Stephan VI. eigentlich gegenüber dem selben Vorwurf wie Formosus verantworten müssen: Auch er hatte sein Bistum aus Ehrgeiz und Karrieregründen gewechselt und nicht weil es unbedingt notwendig war.Die Leichensynode war auch ein Versuch Stephans, sich aus dieser Zwickmühle zu befreien. So paradox es auch klingen mag: Indem er Formosus des Verstoßes gegen das Translationsverbot anklagte, konnte er dafür sorgen, dass alle von Formosus gespendeten Weihen ungültig wurden – also auch die Weihe von Stephan zum Bischof. War die jedoch ungültig, so hatte Stephan selbst nie gegen das Translationsverbot verstoßen. Gerissen!
Das Schicksal von Papst Stephan und die Rehabilitierung von Formosus
In der römischen Öffentlichkeit wurde die Leichenschändung jedoch ziemlich kritisch aufgenommen. Es kam noch im selben Jahr zu einem Aufstand der Römer. Sie nahmen Papst Stephan VI. gefangen, entkleideten ihn und erwürgten ihn im Gefängnis. Der Einsturz der Lateransbasilika kurz zuvor war ein für die Zeitgenossen nicht zu übersehendes göttliches Zeichen der schlechten Herrschaft Stephans.Der Leichnam von Formosus wurde nach der Absetzung Stephans nun erneut exhumiert. Die Gegner Stephans wollten so den eigenen Sieg über Stephans und Lamberts Partei demonstrieren. Papst Johannes IX. ließ den toten Papst wieder mit päpstlichen Gewändern bekleiden und in einem ehrenvollen Grab in der Peterskirche beigesetzt.
Auf einer Synode erklärten Papst Johannes IX. und Kaiser Lambert die Beschlüsse der Leichensynode für ungültig. Auch bei dieser Entscheidung spielte politisches Taktieren eine wichtige Rolle: Zwar war Lambert eigentlich ein Gegner des Formosus, doch hatte ihn Formosus nun mal auch zum Kaiser gekrönt. Lambert konnte also wenig daran liegen, dass alle Weihen von Formosus ungültig waren.
Erneute Exhumierung – Formosus findet keine Ruhe
Doch der Leichnam des Formosus hatte damit noch immer nicht seinen Frieden gefunden. Papst Sergius III. – ein Parteigänger Stephans VI. – verfolgte die Partei des Formosus erneut. Auch er lässt die Leiche des toten Papstes nochmal exhumieren und wieder in den Tiber werfen. Dort soll sie sich dieses Mal im Netz eines Fischers verfangen haben. Am Ende wurde Formosus ein letztes Mal in der Peterskirche bestattet.Spätestens hier muss man sich jedoch Fragen, wie hoch der Realitätsgehalt dieser Berichte ist. Klar ist: Formosus wurde in einem feuchten Erdgrab bestattet und trieb zweimal im Tiber. Der Verwesungsprozess wäre unter diesen Bedingungen deutlich beschleunigt worden. So wie der Leichnam des Formosus beschrieben wird, hätte es sich auf jeden Fall um einen einbalsamierten Leichnam handeln müssen – doch die erste Einbalsamierung eines Papstes fand erst im 12. Jahrhundert statt!
Gleich mehrfach landete der Leichnam von Papst Formosus im Tiber. Doch der Fluss spuckte den Toten ein ums andere Mal aus - ein klassisches Erzählmotiv aus Märtyrerlegenden. |
Wie hoch ist der Realitätsgehalt der Berichte über die Leichensynode?
An dieser Stelle lohnt es sich, einen genaueren Blick auf die Quellen zu werfen. Die wichtigsten Texte, die über die Leichensynode und den Umgang mit dem Leichnam des Formosus berichten, haben etwas gemeinsam: Sie stammen alle von Anhängern des Formosus! Zwei einflussreiche Texte stammen von Auxilius von Neapel und Eugenius Vulgarius – beide hatten ihre Priesterweihe von Formosus persönlich erhalten!Die Autoren verfolgten ein eindeutiges Ziel: Sie wollten die Rechtmäßigkeit der von Formosus erteilten Weihen nachweisen. Wenn Auxilius von der völlig unbeschadet erhaltenen Leiche des Formosus berichtet, dann um den verstorbenen Papst in den Rang eines Märtyrers und Heiligen zu erheben. Denn im Mittelalter galt ein Leichnam, der nicht verweste als Zeichen der Heiligkeit des Verstorbenen.
Ein zentraler Bestandteil von mittelalterlichen Heiligengeschichten war stets der Bericht von der Auffindung des Leichnams des Heiligen, der unversehrt und duftend vorgefunden wurde. Mitunter unternahmen die Leichen in den Heiligenlegenden gar halbe Weltreisen, die sie aber immer unversehrt überstanden. So auch der Leichnam von Formosus: Obwohl gleich zweimal in den Tiber geworfen, spuckt ihn der Fluss immer wieder unversehrt aus.
Offenbar wurde Formosus bereits kurz nach seinem Tod von einigen Römern als Märtyrer verehrt. Es ging das Gerücht um, Formosus sei keines natürlichen Todes gestorben – Kaiser Arnulf soll seine Hände im Spiel gehabt haben. Durch die Zerstörung des Leichnams wäre die Reliquienverehrung von Formosus unmöglich gewesen – ein unversehrter Leichnam war dagegen ein schlagendes Argument für die Heiligkeit von Formosus!
Es gilt also, sehr kritisch mit den Quellen zur Leichensynode von 897 umzugehen. Was auf den ersten Blick wie eine schaurig-makabre Episode aus der frühen Geschichte des Papsttums klingt, könnte sich am Ende vielleicht gar nicht so abgespielt haben.
Der Mittelalterhistoriker Romedio Schmitz-Esser fragt zurecht: Woher hätten die Anhänger Stephans im Jahr 897 wissen können, dass der Leichnam des Formosus noch in einem solch guten Zustand war, um ihn für die Synode zu verwenden? Ein nicht verwester Leichnam war schließlich ein Zeichen der Heiligkeit des verstorbenen Papstes – und das aufzudecken konnte sicherlich auch nicht Ziel der Anhänger Stephans sein. Für bare Münze sollte man das wechselvolle Schicksal des päpstlichen Leichnams also nicht nehmen.
Literatur zur Leichensynode von 897
Herbers, Klaus: Erinnern, vergessen und verformen. Papst Formosus (891–896) in der Erinnerung, in: Scholz, Sebastian [u.a.] (Hg.): Damnatio in Memoria. Deformation und Gegenkonstruktion in der Geschichte, Köln/Weimar/Wien 2014, S. 115-128.Heckmann, Marie-Luise: Der Fall Formosus. Ungerechtfertigte Anklage gegen einen Toten, Leichenfrevel oder inszenierte Entheiligung des Sakralen? In: Weinfurter, Stefan: Päpstliche Herrschaft im Mittelalter. Funktionsweisen – Strategien – Darstellungsformen, Ostfildern 2012 (=Mittelalter-Forschungen. Hg. von Bernd Schneidmüller und Stefan Weinfurter, Bd. 38), S. 223-238.
Schmitz-Esser, Romedio: Der Leichnam im Mittelalter. Einbalsamierung, Verbrennung und die kulturelle Konstruktion des toten Körpers, Hannover 2016 (=Mittelalter-Forschungen, Bd. 48).
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