Das Jenseits und das Leben nach dem Tod im Mittelalter

Wie geht es nach dem Tod weiter? Gibt es überhaupt ein Dasein nach dem Tod? Und wenn ja – in welcher Form? Das sind existenziell...

Wie geht es nach dem Tod weiter? Gibt es überhaupt ein Dasein nach dem Tod? Und wenn ja – in welcher Form? Das sind existenzielle Fragen, die in der Menschheitsgeschichte immer wieder diskutiert und ganz unterschiedlich beantwortet wurden. Egal ob Wiedergeburt, Weiterexistenz oder komplette Vernichtung von Leib und Geist – jede Religion hat eine eigene Antwort entwickelt.

Für die christliche Lehre von den Eschata, den sogenannten „letzten Dingen“ gibt es ein paar unumstößliche Eckpfeiler: Die Toten werden am Tag des Jüngsten Gerichts wieder auferstehen, danach warten Himmel oder ewige Verdammnis auf alle Menschen. Soweit klar für jeden bibelfesten Gläubigen – denn so hatte es Jesus Christus laut den Evangelien gelehrt.

Doch es bleiben offene Fragen für die Gläubigen: Wer kommt wann in die Hölle oder das himmlische Paradies? Und auf Basis welcher Kriterien? Was musste man als Gläubiger tun, um auf jeden Fall nicht in der Hölle zu landen? Und was passiert mit Körper und Seele in der Zeit zwischen dem eigenen Tod und der Auferstehung aller Toten?

Die Apokalyptischen Reiter verkündeten das Ende der Welt und den Tag des Jüngsten Gerichts mit der Auferstehung der Toten. (Abbildung: British Library, MS Add 22493, Fragment der Apocalypse aus Frankreich, entstanden Ende des 13. Jahrhunderts, f. 3v.)


Im Mittelalter wurde deshalb von Gläubigen und Theologen intensiv über Struktur und Aufbau des Jenseits diskutiert. Mit den Worten von Jacques Le Goff: „Wenn man die Wiederauferstehung der Toten erwartet, ist die Geographie des Jenseits nicht von zweitrangiger Bedeutung“.

In diesem Artikel soll es deshalb um die verschiedenen Bilder und Modelle gehen, die sich die Menschen im Mittelalter vom Jenseits machten. Die Vorstellungen vom Jenseits wurden dabei über die Jahrhunderte hinweg immer komplexer: Zunächst glaubten die Gläubigen noch, dass die Toten in einem schlafähnlichen Zustand auf die Auferstehung warteten. Mit der Zeit wurde das Jenseits immer vielfältiger und erhielt mit dem Limbus und dem Fegefeuer neue Ebenen.


Das Band zwischen den Lebenden und den Toten

Bevor wir uns die Entwicklung der Jenseits-Vorstellungen genauer ansehen, werfen wir einen Blick auf die Beziehungen, die die Lebenden und die Toten im Mittelalter unterhielten. Denn die Verbindungen waren durchaus intensiv und von Gegenseitigkeit geprägt, weshalb man von einer „Solidargemeinschaft der Lebenden und der Toten“ spricht.

Denn die Lebenden konnten die Toten anrufen und um Beistand bitten. Andererseits waren die Toten auf Fürbitten der Lebenden angewiesen. Blieb die Unterstützung durch die Lebenden aus, konnten die Toten auch im Diesseits erscheinen und die Gebete einfordern. Auch die Verehrung der Reliquien beruht auf diesem Konzept, denn sie galten als Möglichkeit zur direkten Verbindung ins Jenseits.

Otto Gerhard Oexle stellt deshalb fest: „Die Toten sind Personen im rechtlichen Sinn, sie sind Rechtssubjekte und also auch Subjekte von Beziehungen in der menschlichen Gesellschaft; mit anderen Worten: sie sind unter den Lebenden gegenwärtig.“

Dazu passte, dass die Menschen im Mittelalter sich die Seelen der Verstorbenen im Jenseits durchaus körperlich vorstellten. Schon bei Tertulian blieben die Seelen im Jenseits irgendwie „körperlich“ (corporalis) und sahen aus wie ein Abbild der lebenden Person. Diese Form des Körpers im Jenseits sollte jedoch keinesfalls die Auferstehung vorwegnehmen, denn ihren vollen Körper sollten die Seelen erst am Ende der Welt zurückerhalten.

Für Augustinus ist die Seele geistig und unvergänglich – gleichzeitig aber leiblos. Im Jenseits erhält die Seele deshalb eine Art „Zwischenkörper“, also sozusagen eine Low-Budget-Version des echten Körpers. Erst bei der Auferstehung bekommt die Seele dann ihren eigentlichen Leib zurück, dann freilich in einer perfekten 1A-Version. Die Konsequenz aus der Existenz eines solchen „Zwischenkörpers“ war, dass die Seelen im Jenseits prinzipiell auch körperliche Empfindungen haben konnten – wie etwa Schmerz und Freude.

Das Jüngste Gericht und die Auferstehung der Toten. (Abbildung: British Library, MS Add 50000, The Oscott Psalter, entstanden 1265-1270, f. 12v.)


Die Idee des „Schlaf-Interim“

Im Bereich des Todes gibt es im christlichen Glauben von Anfang an zwei Grundannahmen:


  1. Der Mensch besteht aus Leib und Seele.
  2. Weil am Tag des Jüngsten Gerichts alle Menschen als Individuen gerichtet werden, muss es eine Form der Kontinuität des Menschen in der Zeit zwischen Tod und Auferstehung geben.

In der Frühzeit des Christentums glaubte man, dass sich die Seele ohne Leib im Jenseits befand und ohne ihre körperliche Hälfte inaktiv und schlafend ausharrte. Erst mit der Auferstehung sollte die Seele dann – in Vereinigung mit dem Leib – wieder aktiv werden.

Doch nicht alle Toten verbrachten die Zeit bis zum Jüngsten Gericht: Die Märtyrer – also jene, die für ihren Glauben gestorben waren – saßen laut der Bibel (Offenbarung 6,9) bereits am Fuße des himmlischen Altars. Damit hatten sie zwar noch keinen Platz im Himmel, aber zumindest in der vollen Anschauung Gottes.

Damit sie dazu in der Lage waren, besaßen die Märtyrer bereits ein „weißes Gewand“, was als eine Art von Leib verstanden werden kann. In Offenbarung 20,4 heißt es zudem, dass die Märtyrer bereits durch eine „erste Auferstehung“ lebendig seien – bevor dann am Tag des Jüngsten Gerichts auch alle anderen Christen auferstehen sollten.


Die Crux mit der Bibel

Allerdings gab es mit diesem ersten, recht einfachen Aufbau des Jenseits gleich mehrere Probleme. Denn aufmerksame Kirchenlehrer und Bibelexegeten fanden gleich mehrere Stellen, an denen die Bibel der Vorstellung von einem Schlafzustand im Jenseits widersprach.

Da wäre zunächst einmal der gute Schächer, also der Verbrecher, der laut dem Lukasevangelium neben Jesu gekreuzigt wurde und der von Jesus erlöst wurde mit den Worten Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein.“ (Lukas 23,43). Doch wie sollte das möglich sein? Denn als Märtyrer konnte der gute Schächer mit Sicherheit nicht gelten.

Problem Nummer 2 stammt ebenfalls aus dem Lukas-Evangelium: Hier wird die Parabel vom armen Lazarus und dem reichen Mann erzählt. Während Lazarus im Jenseits in Abrahams Schoss Geborgenheit und Freude erlebt, erleidet der Reiche schmerzvolle Qualen. Die beiden Männer können sich dabei zwar gegenseitig sehen, sind aber durch eine unüberwindliche Grenze getrennt. Der paradiesische Schoß Abrahams und die Qualen des reichen Mannes wie sie hier geschildert werden ließen sich kaum vereinbaren mit der Vorstellung vom Schlaf-Interim.

Diese Abbildung aus dem Codex Aureus Epternacensis aus dem frühen 11. Jahrhundert zeigt in drei Bildern die Geschichte von Lazarus und dem reichen Mann. (Abbildung: The Yorck Project via Wikimedia Commons, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Codex Aureus Epternacensis (Goldenes Evangeliar), entstanden etwa 1035-1040, fol. 78r.)

Darüber hinaus existierte ein Bericht über den Abstieg von Jesus Christus in die Hölle. In dieser Erzählung aus dem apokryphen Nikodemus-Evangelium stieg Jesus in die Unterwelt hinab, um Adam und Eva sowie die Vorväter aus dem Alten Testament aus der Vorhölle zu retten. Jesus soll die Höllentore geöffnet haben und die Menschen aus der Zeit des Alten Testaments ins Paradies geführt haben. Anschließend versiegelte er die Hölle mit den sieben Siegeln für alle Ewigkeiten. Auf Basis dieser Textstelle heißt das: Die Lage von Menschen nach dem Tod konnte durchaus verbessert werden, doch die Hölle war von nun an von solchen Verbesserungen ausgeschlossen.

Ein drittes Problem betraf den Termin des Jüngsten Gerichts. Denn es blieb unklar, wann genau der Prozess stattfinden sollte und wer sich dort zu verantworten hatte. Der gute Schächer hatte ja zum Beispiel seinen Platz im Paradies schon sicher – ihn also nochmal vor Gericht zu zitieren erschien eher überflüssig. Auch die beiden Propheten Henoch und Elias sollen laut dem Alten Testament schon direkt in den Himmel aufgestiegen sein, ebenso wie im Neuen Testament die Gottesmutter Maria.

Die frühen Christen lebten in der Gewissheit, dass das Jüngste Gericht jederzeit und auf jeden Fall sehr bald stattfinden würde. Mit der Zeit ging die Erwartung des nahenden Endes deutlich zurück – das Interesse am genauen Termin des Jüngsten Gerichts blieb jedoch stark. Der katalanische Arzt und Theologe Arnald von Villanova (gest. 1311) berechnete zum Beispiel, dass der Antichrist im Jahr 1365 erscheinen würde und damit das Jüngste Gericht einleiten würde.

Immer wieder gab es im Mittelalter Phasen verstärkter Furcht vor dem Ende der Welt. Das konnte politische Gründe haben, wenn etwa Kaiser Friedrich II. als Antichrist dargestellt wurde. Auch Naturphänomene wie Kometen oder Erdbeben wurden häufig als Vorboten des Jüngsten Gerichts betrachtet. Auch die Raubzüge nichtchristliche Völker wie der Mongolen oder Türken gaben Anlass zu der Sorge, das Ende der Welt stehen bevor.

Auch wenn der genaue Termin nicht feststand: Die Menschen im Mittelalter gingen fest davon aus, dass der Tag des Jüngsten Gerichts kommen würde. Die Bibel macht allerdings keine Aussage darüber, was in dem Zeitraum zwischen dem Tod eines Gläubigen und dem allgemeinen Gerichtstermin geschehen würde. Die Frage nach dem Gerichtstermin und der Art des Gerichts wurde damit entscheidend für den Aufbau des gesamten Jenseits.

Das Weltgericht nach Matthäus und Johannes

Schon in den Berichten der Evangelisten gibt es unterschiedliche Auffassungen zum Weltgericht. Nach Matthäus 25,31ff müssen alle Menschen vor den Richter treten. Es gibt hier also nur gute und böse Menschen, die am Tag des Jüngsten Gerichts voneinander getrennt werden.


Bei Johannes müssen die Guten nicht vor Gericht. Dem Urteil müssen sich nur die Bösen stellen und die Halbguten, die non valde boni. Letztere haben also noch eine kleine Chance auf ein für sie günstiges Urteil – denn sonst würde das Gericht für sie ja keinen Sinn machen.


In Darstellungen dieser Form des Jüngsten Gerichts steigen rechts von Christus die Guten aus ihren Gräbern und werden von Engeln in den Himmel emporgetragen. Auf der anderen Seite erfolgt das Wiegen der Seelen, die dann entweder ebenfalls in den Himmel getragen werden – oder hinab in die Hölle gestoßen werden.

Die Annahme von einem allgemeinen Weltgericht am Jüngsten Tag bringt einige Konsequenzen mit sich: So blieb offen, wo die Verstorbenen auf den Gerichtstermin warteten. Verbrachten die Guten, Schlechten und Halbguten die Zeit gemeinsam? Oder waren sie bereits räumlich voneinander getrennt?

Bei Tertullian, einem frühchristlichen Schriftsteller aus dem 2. Jahrhundert, lesen wir, dass der Zwischenzustand zwischen Tod und Auferstehung getrennt aufgebaut ist: Die Guten kommen in ein interim refrigerium, also den (vorläufigen) paradiesischen Schoß Adams, die Bösen in ein interim tormentum, also einen (vorläufigen) Ort der Qualen. Dort warten die Seelen dann auf ihr endgültiges Urteil.

Eine solche räumliche Aufteilung setzt jedoch eine erste gerichtliche Instanz voraus, die eine Einordnung der Verstorbenen vornahm – und zwar nicht erst am Tag des Jüngsten Gerichts, sondern schon direkt nach dem Tod eines jeden Christen. Aus der Notwendigkeit heraus, die widersprüchlichen Aussagen der Bibel in ein ganzheitliches Modell aufzunehmen, entstand die Idee des sogenannten Partikulargerichts.

Dieses Partikulargericht fand in der Vorstellung der Gläubigen bereits unmittelbar nach dem Tod eines jeden einzelnen statt. Im Rahmen dieses individuellen Prozesses wurde bereits eine Einteilung in Gute und Schlechte unternommen. Das Jüngste Gericht bestätigte dann eigentlich nur noch einmal die Entscheidung des Partikulargerichts.


Mit dem Modell des Partikulargerichts gewann der Moment des Todes stark an Bedeutung, schließlich entschied sich bereits hier das weitere Schicksal im Jenseits. Ein beliebtes Motiv in der Bildkunst war der Kampf zwischen Engeln und Teufel im Moment des Todes: Beide Seiten versuchen, die Seele des Verstorbenen zu ergreifen und auf ihre Seite zu ziehen.

Das Partikulargericht wurde in der Vorstellung der Gläubigen vom Heiligen Michael geleitet, der als Richter die Waage hielt, auf der die Seelen gewogen wurden. Die Teufel drückten die Waage auf ihrer Seite nach unten, doch die Gottesmutter Maria konnte diesen Betrugsversuch ausgleichen und die Seelen retten.

Andere Bilder für das Partikulargericht aus der geistlichen Literatur des Hoch- und Spätmittelalters waren zum Beispiel eine schmale Brücke, die nur die Guten unbeschadet überqueren konnten – die schlechten stürzten von ihr hinab in den Abgrund. Auch eine schmale Leiter mit scharfen Sprossen wird in Jenseitsvisionen beschrieben: Nur die leichten Seelen ohne die Last schwerer Sünden konnten diese Leiter erklimmen.

Doch aus der Idee des Partikulargerichts entstand ein neues Problem: Wenn es – wie von Johannes dargestellt – nicht nur die Guten und die Schlechten gibt, die in Himmel oder Hölle kommen, sondern auch noch Mittelgute, dann brauchte auch diese dritte Gruppe einen Ort im Jenseits, wo sie auf den Jüngsten Tag warten konnten. Dieser Raum wurde im Hochmittelalter mit der Vorstellung vom Fegefeuer gefüllt.


Das Fegefeuer

Mit dem Fegefeuer erhielt das Jenseits in der Zeit zwischen 1150 und 1250 eine weitere Ebene. Die Entwicklung der Vorstellung vom Fegefeuer als einem Ort der zeitlich begrenzten Reinigung basierte auf einer Reihe von Grundlagen, die wir bereits kennen:


  • Die Seele ist unsterblich und wird am Jüngsten Tag wiederauferstehen.
  • Es gibt ein zweifaches Gericht über die Toten, ein erstes Mal direkt nach dem Tod und ein zweites Mal am Tag des Jüngsten Gerichts.
  • Es gibt Gute und Schlechte und dazwischen noch die Mittleren, die sich „zwischen der Reinheit der Heiligen und der Gerechten und den unverzeihlichen Totsünden“ (Jacques Le Goff) befinden.
  • Die Seele besteht aus irgend einer Form von Material oder Körper, weshalb sie auch körperlich gequält werden kann.


Die Entwicklung der Vorstellung vom Fegefeuer ist ein sehr langer Prozess, den unter anderem Jacques Le Goff versucht hat nachzuvollziehen. Die Wurzeln reichen zurück bis ins frühe Christentum: In der Antike beteten die ersten Christen für die Toten, denen man so in den Himmel verhelfen konnte. Hier verbanden sich antike heidnische Jenseitsbilder mit jüdischen Ansätzen. Darüber hinaus nahmen viele weitere Faktoren einen Einfluss auf die Idee vom Fegefeuer: Ein reinigendes Feuer ist zum Beispiel in vielen uralten Legenden und Mythen ein zentrales Element.

Auf Basis der bereits angesprochenen Bibelstellen zu Lazarus, den Propheten des Alten Testaments und der Höllenfahrt Christi glaubten die Menschen im Frühmittelalter, dass es im Jenseits einen Ort geben musste, wo die Mittelguten auf ihr endgültiges Urteil warteten. Doch wie genau dieser Ort beschaffen war, das blieb offen. Von der Kirche wurde dieser Ort jedoch erst im Hochmittelalter theologisch und dogmatisch fundiert.

Denn im 12. und 13. Jahrhundert forderten christliche Sekten wie die Katharer und Waldenser die katholischen Theologen heraus mit radikalen neuen Gedanken zum Christentum – unter anderem leugneten sie die Verbreitete Vorstellung, dass die Lebenden für die Toten beten können. Dieser theologische Konflikt führte dazu, dass alle Seiten ihre Glaubensgrundsätze schärften und präzisierten. So entstand die katholische „Fegefeuer-Doktrin“ (Peter Dinzelbacher) mit dem Fegefeuer als einem Ort der Reinigung von Sünden durch körperliche Qualen.

Das linke Bild zeigt Jesus bei seiner Höllenfahrt, wie er Adam und Eva aus der Hölle befreit. Rechts drei Ebenen des Jenseits (von oben nach unten): Fegefeuer, Limbus, Hölle. (Abbildung: British Library, Yates Thompson 31, Matfré Ermengau von Béziers, Breviari d'Amor, entstanden Ende des 14. Jahrhunderts, f. 250.)


In einem Brief von Papst Innozenz IV. wurde das Fegefeuer im Jahr 1254 erstmals schriftlich so bezeichnet und auf dem Konzil von Lyon (1274) dann auch als Dogma aufgenommen in die von Papst Benedikt XII. präsentierte Topographie des Jenseits. Papst Benedikt legte dabei den Aufbau des Jenseits streng fest. In den Himmel gelangten laut ihm:


  • Alle Heiligen, die vor Jesus gestorben waren.
  • Die Apostel, Märtyrer, Bekenner und Jungfrauen.
  • Die Seelen der Verstorbenen, die nicht gereinigt werden mussten.
  • Die Seelen der Kinder, die nach der Taufe aber vor der Volljährigkeit starben.


Das Konzil von Trient schrieb dann schließlich den Glaubenssatz vom Fegefeuer fest und stützte sich dabei auf verschiedene Bibelstellen. Problematisch blieb die Idee vom Fegefeuer aber weiterhin: Denn ein Ort wie das Fegefeuer wurde nirgends in der Bibel geschildert, das Konzil konnte nur Indizien und Hinweise aus den Bibeltexten so auslegen, dass sie die Fegefeuer-Lehre stützten.

Das Fegefeuer und der daraus resultierende Ablasshandel blieben so auch über die Zeit der Reformation hinaus ein Kritikpunkt an der römisch-katholischen Kirche. Kirchenreformer wie Jan Hus, John Wycliff oder Martin Luther griffen die Lehre deshalb immer wieder an.

Dante und Virgil durchqueren die Tore des Fegefeuers und treffen dort auf die Stolzen, die zur Strafe schwere Steine tragen müssen. (Abbildung: British Library, Yates Thompson 36, Dante Alighieri, Divina Commedia, entstanden um 1450, f. 84.)


Feuerkelch, Eiswind und Wüste: Das Aussehen des Fegefeuers

Über das Aussehen des Fegefeuers gab es im Mittelalter ebenfalls unterschiedliche Auffassungen. Für Thomas von Aquin war das Fegefeuer ein Kerker im Inneren der Erde. Immer wieder berichten Menschen im Hochmittelalter von ihren Reisen in diese Unterwelt.

Um 1150 behauptete ein Ritter namens Owen, er habe drei Tage im Fegefeuer verbracht und dort Räder aus Feuer und Flüsse aus Eis gesehen. Dorthin gelangt war er durch einen direkten Zugang, den der Heilige Patrick für die ungläubigen Iren geöffnet hatten, als sie ihm nicht glauben wollten, dass es eine Bestrafung für Sünden im Jenseits gibt.

Das sogenannte Purgatorium des heiligen Patrick auf einer Insel in einem See im Norden Irlands wurde daraufhin zum Wallfahrtsort und erlangte europaweite Bekanntheit. Auf dem Globus des Martin Beheim aus dem Jahr 1492 ist die Insel unter dem Namen „St Patrci Fegfeuer“ sogar der einzige bezeichnete Ort in ganz Irland.

Um dieselbe Zeit wie Owen berichtete ein Schottenmönch namens Marcus aus Regensburg von seiner Reise ins Jenseits, wo er bizarre Folterungen erlebte und schließlich in den Himmel aufsteigen durfte. Generell gelten das 11. bis 13. Jahrhundert als die Hochphase solcher Visionen vom Jenseits nach Nahtoderfahrungen. Die heute so bekannte Göttliche Komödie Dantes ist dagegen eher ein Nachzügler.

Die Höhle in Irland war nicht der einzige Ort auf Erden mit einer Verbindung zum Fegefeuer und der Hölle. Zum Teil wurden beide Regionen sogar im Diesseits verortet. Bischof Jakob von Voragine zum Beispiel vermutete, dass die Reinigung der Sünder in der Luft oder einer Trockenzone auf der Erde stattfindet.

Für manche lag der Ort der Qual auch deutlich näher: Caesarius von Heisterbach behauptete, dass es einen Felsen bei Trier gebe, wo die Teufel die Sünder quälten. Daneben gab es auch die Vorstellung, dass die Seelen der im Fegefeuer schmorenden Sündern als „Heer der Toten“ oder sogenannte „Wilde Jagd“ durch die Luft zogen. Ordericus Vitalis berichtete in seiner Kirchengeschichte, dass ein solcher Zug der Toten in der Neujahrsnacht 1091 durch die Lande gezogen sein. Dämonen marterten die Toten, die ihrerseits um Gebete der Lebenden baten.

Neben dem Fegefeuer gab es noch eine weitere Region im Umkreis der Hölle – den sogenannten Limbus. Das war ein Randbezirk der Hölle in dem zwei Sorten von Ungetauften landeten: Einmal die Menschen landeten, die vor Christus gestorben waren und zum anderen die ungetauft gestorbenen Kinder.

Marienkrönung des französischen Malers Enguerrand Quarton. Unten Links in einer Felsenhöhle knien die Seelen der Ungetauften im Limbus. (Abbildung: The Yorck Project via Wikimedia Commons, Enguerrand Quarton (1411-1466): Marienkrönung für den Altar der Kartause zu Villeneuve-lès-Avignon.)


Das Jenseits: Menschgemacht

Insgesamt gilt: „Den mittelalterlichen Jenseits-Vorstellungen eigentümlich ist ihr Reichtum und ihre Präzision im Detail bei mangelnder Folgerichtigkeit im System.“ (Peter Jezler). Denn die Vorstellung vom Aufbau des Jenseits hatte sich in so vielen Etappen über Jahrhunderte immer weiter ausgebaut, dass nie ein einheitliches System entstand.

Auf der einen Seite beschäftigten sich die mittelalterlichen Theologen zum Teil mit den absurdesten Detailfragen. So berechnete der englische Benediktiner Ranulph Higden im 14. Jahrhundert zum Beispiel, dass die Hölle genau 3245,5 Meilen unter der Erdoberfläche liegen musste. Denn die Erde hatte laut Ranulph einen Durchmesser von 6491 Meilen – die Hölle befand sich dabei genau in der Mitte. Augustinus war überzeugt, dass der Körper der von den Toten Auferstandenen ein Alter von 30 bzw. 33 Jahren haben musste – denn so Alt war Christus bei seinem Tod auch gewesen.

Auch die Auferstehung von den Toten und die Wiederherstellung der Körper stellten sich die Menschen mitunter sehr detailliert und plastisch vor- Laut Thomas von Aquin sollten auch Menschen, die von wilden Tieren zerfleischt wurden oder Körperteile verloren hatten, ihren gesamten Körper zurückerhalten – weil die Tiere die entsprechenden Arme und Beine einfach wieder ausspuckten.

Der Apostel Johannes erblickt das himmlische Jerusalem - so stellten die Menschen im Mittelalter sich den Himmel vor.(Abbildung: New York Public Library via Wikimedia Commons, Handschrift aus dem 15. Jahrhundert.)

Diesen spitzfindigen Details stehen ganz grundsätzliche Probleme gegenüber. So zum Beispiel die Frage, warum es überhaupt noch ein Gericht am Jüngsten Tag gab, wenn das Partikulargericht ohnehin schon jeden direkt nach dem Tod verurteilt hatte. Die Aufnahme in Himmel und Hölle war ja ohnehin endgültig und auch die Zeit im Fegefeuer war von vornherein für jeden festgelegt – wozu also nochmal ein zweites Gericht, das höchstens bestätigen konnte, was bereits feststand?

Bei der Auseinandersetzung mit den mittelalterlichen Jenseits-Vorstellungen darf man deshalb nie vergessen, dass auch dieses Jenseits menschgemacht ist. Der schwedische Wissenschaftler und Mystiker Emanuel Swedenborg (1688–1772) stellte sich das Jenseits zum Beispiel als eine himmlische Akademie mit Vorträgen, Hörsälen und Gelehrtenstuben voller Bücher vor. So sieht sicherlich das perfekte Jenseits für einen Gelehrten aus – sicherlich fühlen sich dort aber nicht alle Menschen wohl.

Ganz offenkundig war das Jenseits ein „Herrschafts- und Finanzierungsmittel“ (Peter Dinzelbacher) der geistlichen und weltlichen Obrigkeit im Mittelalter. Der Pariser Bischof Wilhelm von Auvergne (gest. 1249) gab schon im 13 Jahrhundert ganz offen zu, dass die Furcht vorm Jenseits auch dazu diente, Gehorsam für die Kirche zu erzeugen. Auch materielle Interessen, die aus dem profitablen Ablasshandel erwuchsen, spielten sicherlich eine Rolle. „Würden die Priester nicht von der Hölle reden, würden sie verhungern“, so meinte das Volk im 14. Jahrhundert.

Doch das lässt sich auch positiver formulieren: Das Jenseits diente vielen Gläubigen als ein Raum der Kompensation für Ungerechtigkeiten im Diesseits. Die oft ausbleibende Belohnung oder Bestrafung für Verhalten unter den Lebenden wurde im Jenseits nachgeholt. So gab der Glaube an das Jenseits mit seinem strengen Gericht den Menschen auch Hoffnung auf späte Gerechtigkeit. Und auch die allermeisten Priester waren von der Richtigkeit ihrer Predigten über das Jenseits überzeugt.


Literatur zu den Jenseits-Vorstellungen im Mittelalter

Jezler, Peter: Jenseitsmodelle und Jenseitsvorsorge – Eine Einführung. In: Jelzer, Peter (Hg.): Himmel, Hölle, Fegefeuer. Das Jenseits im Mittelalter, 5. Auflage, Zürich 1997, S. 13-26.
Le Goff, Jacques: Die Geburt des Fegefeuers. Stuttgart 1984.
Riedel, Peter: „Himmel, Hölle, Fegefeuer“. Jenseitsvorstellungen im Mittelalter, in: Heimann, Heinz-Dieter [u.a.] (Hg.): Weltbilder des mittelalterlichen Menschen. Berlin 2007, S. 135-146.
Schreiber, Stefan [u.a.] (Hg.): Das Jenseits. Perspektiven christlicher Theologie, Darmstadt 2003.
Merkt, Andreas: Das Fegefeuer. Entstehung und Funktion einer Idee, Darmstadt 2005. Hartinger, Walter: Erde, Himmel, Hölle, Fegefeuer. Die Sorge um das Seelenheil und das irdische Leben, in: Apokalypse – zwischen Himmel und Hölle, Passau 2000, S. 177-200. Wegmann, Susanne: Auf dem Weg zum Himmel. Das Fegefeuer in der deutschen Kunst des Mittelalters. Böhlau 2003.

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