Hans Böhm: Der Pauker von Niklashausen

Am 19. Juli 1476 erlebte Würzburg die Hinrichtung von Hans Böhm, einem jungen Hirten aus dem nahen Wertheim. Er wurde im Alter v...

Am 19. Juli 1476 erlebte Würzburg die Hinrichtung von Hans Böhm, einem jungen Hirten aus dem nahen Wertheim. Er wurde im Alter von nur etwa 18 Jahren als Ketzer auf dem Scheiterhaufen verbrannt, denn er hatte durch sein Wirken die mächtigsten Männer seiner Region gegen sich aufgebracht: Den Erzbischof von Mainz, den Bischof von Würzburg und auch den Grafen von Wertheim.

Zuvor war Hans Böhm vom einfachen Hirten und Spielmann zum Prediger und Initiator einer Massenwallfahrt aufgestiegen. Bis zu 40.000 Menschen lockter er mit seinen feurigen Reden gleichzeitig nach Niklashausen und begeisterte sie mit seinen Thesen zu Religion und Gesellschaft.

Wie der einfache Viehhirte so viele Gläubige anlocken konnte und warum seine Predigten auch Ausdruck einer neuen Reformbewegung am Übergang zwischen Mittelalter und Früher Neuzeit war, das möchte ich in diesem Blog-Artikel näher beleuchten.

Hans Böhm predigt vor den versammelten Pilgern. Hinter ihm der Mönch, der ihm dabei zur Seite Stand. Rechts die kleine Marienkirche von Niklashausen, das Ziel der von Hans Böhm verkündeten Wallfahrt. (Abbildung: Bayerische Staatsbibliothek, Schedelsche Weltchronik, entstanden 1493, fol. 299.)

Hirte und Spielmann: Die Jugend von Hans Böhm

Für das Verständnis der Ereignisse ist ein Blick auf Herkunft und Kindheit von Hans Böhm notwendig. Geboren wurde der kleine Hans im Jahr 1458 in Helmstadt in Unterfranken, einem Dorf zwischen Wertheim und Würzburg. Die Familie Böhm waren - wie der Name wohl andeutet - Flüchtlinge aus Böhmen, die vor den Hussitenkriegen geflohen waren.

Hans Böhm war Viehhirte und galt deshalb landläufig - wie alle Hirten - als Kundig in Sachen Wetter und Heilkräuter. Weil sie viel Zeit alleine auf dem Feld verbrachten, galten Hirten zudem als Grübler mit einer Gabe für Hellseherei. Zusätzlich zog Hans als Musikant und Spielmann durch die Gegend und musizierte mit seiner Pauke in den Gasthäusern zwischen Würzburg und Tauberbischofsheim.

Es war eine Kindheit mit Licht und Schatten: Einerseits erlebte Hans als einfacher Hirte aus armen Verhältnissen immer wieder Rechtlosigkeit und Ungerechtigkeiten durch die Obrigkeit, denen seine Schicht schutzlos ausgeliefert war. Andererseits war er selbstbewusst und redegewandt und kam als Musikant mit vielen Menschen ins Gespräch.


Erweckung zum Prediger

Eines Nachts Ende März 1476 trat eine radikale Veränderung in das Lebens von Hans Böhm: Nach einem Fest kehrte Hans auf die Weide zurück, wo ihm im Traum die Jungfrau Maria erschien. Im Gepäck hat sie die wenig erfreuliche Botschaft eines drohenden Strafgerichts Gottes über alle Sünder.

Für den jungen Hans hat sie einen besonderen Auftrag: Er sollte die Menschen zur Umkehr und zur Buße aufrufen und dafür sorgen, dass Pilger zum Gnadenbild der Muttergottes in der kleinen Kirche von Niklashausen ziehen. Auf diese Weise, so verspricht Maria es dem Hirten, sollten die Pilger den vollkommenen Ablass von ihren Sünden erhalten. Hans Böhm zögerte keinen Moment begann sofort damit, die Botschaft der Gottesmutter zu verkünden.

Zwei Faktoren trugen dazu bei, dass seine Botschaft auf offene Ohren stieß und er schnell erste Anhänger und Zuhörer fand: 

Zum einen war ein solches Ablassversprechen für die Menschen der damaligen Zeit nicht neu. Gerade erst war das Heilige Jahr 1475 zu Ende gegangen. In diesen Jahren konnten Gläubige den vollkommenen Ablass erreichen, indem sie nach Rom zogen und dort bestimmte vom Papst festgelegte Kirchen besuchten. Das erste offizielle Heilige Jahr hatte unter Papst Bonifatius VIII. im Jahr 1300 stattgefunden und enorme Pilgerscharen angelockt. Im Jahr 1475 feierte die römische Kirche bereits das siebte Ordentliche Heilige Jahr.

Zudem gab es auch für die Kirche in Niklashausen gab einen 1353 ausgestellten Ablassbrief der Kurie in Avignon, den der Mainzer Erzbischof 1360 nochmals bestätigt hatte. Darin war festgelegt, dass Pilger 40 Tage Ablass von allen Sünden erhalten sollten, wen sie eine Pilgerfahrt nach Niklashausen unternahmen.

Niklashausen war damit zwar ein offiziell genehmigter Pilgerort, doch wirkliche Anziehungskraft entfaltete er nie. Die Grafen von Wertheim, in deren Grafschaft Niklashausen lag, duldeten Hans Böhms Predigten deshalb zu Beginn durchaus - schließlich belebte der junge Hirte dadurch die Wallfahrt und sorgte so für Einnahmen bei Wirten, Gasthäusern und Händlern.


Die erste Predigt in Niklashausen

Seine erste Predigt hielt Hans Böhm vor der Kirche in Niklashausen. Hier verbrannte er (öffentlichkeitswirksam) seine Pauke und rief zur Marienwallfahrt auf. Das zeigte Wirkung: Schon bald strömten die ersten Pilger nach Niklashausen.

Befeuert durch diesen Zustrom begann Hans Böhm, regelmäßig an Sonn- und Feiertagen zu predigen. Bald hörten ihm so viele Menschen zu, dass er sich auf ein Fass stellen musste, um von allen Zuhörern gesehen zu werden.

Hans Böhm ging mit den Menschen hart ins Gericht: Er forderte, dass sich alle von ihren überflüssigen Luxusgütern verabschieden sollten und errichtete einen Scheiterhaufen, in dem die Pilger ihren Schmuck, ihre seidenen Tücher und ihre Schnabelschuhe verbrannten. So sollten sie sich laut Hans Böhm von ihren Sünden reinigen.

Mit diesen Forderungen folgte Hans Böhm einem sehr berühmten Vorbild, dem Bußprediger Johannes Capistranus. Diesen hatte Papst Nikolaus V. im Jahr 1451 via Franken nach Böhmen entsandt, um die Anhänger von Jan Hus zurück in den Schoss der römischen Kirche zu bringen. Auch Capistranus forderte seine Zuhörer auf, ihre Luxusgegenstände zu verbrennen.

In einem der Verhöre nach seiner Verhaftung nannte Hans Böhm diesen "Heiligen Vater des Barfüßerordnes" als sein Vorbild. Das brachte die kirchliche Obrigkeit ziemlich in Bedrängnis: Capistranus konnte sicherlich nicht als Ketzer gelten - wie sollte man dann jedoch mit Hans Böhm umgehen, wenn er ähnliche Forderungen thematisierte? Am Ende hielt man sich beim Urteil über Hans Böhm dann jedoch nicht allzu lang mit diesen theologischen Detailfragen auf.

Johannes Capistranus predigt gegen das Spiel und lässt seine Zuhörer ihre Spiele verbrennen. Ein Vorbild für Hans Böhm? (Abbildung: British Library, HMNTS 10210.eee.12 via Wikimedia Commons, Abbildung aus Bergmann, Moritz: Geschichte der Kaiserstadt und ihrer Umgebung, entstanden 1880.)

Hans Böhm: Ein Sozialrevoluzzer des späten Mittelalters?

Zum Verhängnis wurden Hans Böhm weniger die religiösen Inhalte seiner Predigten als vielmehr das, was er darüber hinaus noch forderte. Denn schon bald verband Hans Böhm seine geistlichen Forderungen mit sozialen Themen. Während er in Sachen Religion ein eher traditionelles Programm verkündete, waren seine gesellschaftlichen Ideen deutlich radikaler:  Er forderte die Gleichheit der Menschen, verlangte die Ausweitung des Gemeineigentums und wollte die Standesunterschiede und die Frondienste abschaffen. Ein Strafgericht Gottes sollte die Fürsten für ihre Gier bestrafen und alles Land in Allmende umgewandelt werden.

Hans Böhm prangerte damit deutliche Missstände seiner Zeit an und kritisierte die bestehende soziale Ordnung massiv. Gleichzeitig ordnete er seine scharfen Töne nicht in den größeren zeitgenössischen Kontext ein: Die Pest als mögliche Strafe Gottes thematisierte er ebenso wenig wie die aktuelle Politik oder die sogenannte "Türkengefahr", die damals seit dem Fall von Konstantinopel im Jahr 1453 an den europäischen Höfen eifrig diskutiert wurde. Hans Böhm Denken war deutlich auf seine begrenzte Heimatregion beschränkt.

Dennoch besaßen seine gesellschaftlichen Ideen eine nicht zu unterschätzende Sprengkraft. Schließlich sollen auf dem Höhepunkt seiner Predigertätigkeit im Juni 1476 laut Lorenz Fries etwa 40.000 Menschen dem Pauker von Niklashausen zugehört haben. Sie stammten nicht nur aus dem direkten Umkreis, auch aus dem restlichen Bayern, aus Schwaben und sogar aus Thüringen und Sachsen strömten die Menschen herbei. Jetzt trat auch die Obrigkeit auf den Plan.


Die Reaktion der Obrigkeit auf den Pauker von Niklashausen

Das Eingreifen der Obrigkeit wurde zunächst von einem Gerangle um die Zuständigkeiten verzögert. Denn im herrschaftlich zersplitterten Franken war nicht sofort klar, in wessen Zuständigkeit die Untersuchung der Vorgänge in Niklashausen genau fiel.

In Frage kamen:

  • Graf Johann III. von Wertheim (14541497): Er war Grund- und Gerichtsherr über Niklashausen, besaß zudem die niedere Gerichtsbarkeit über Helmstadt und war damit der Leibherr von Hans Böhm.
  • Mainzer Erzbischof Diether von Isenburg: War als Diözesanbischof für Niklashausen zuständig und damit übergeordnet Verantwortlich für theologisch-religiöse Themen der dortigen Kirche.
  • Würzburger Bischof Rudolf II. von Scherenberg: Besaß die direkte geistliche Herrschaft über Helmstadt und die Kirche von Niklashausen und war damit direkt verantwortlich für die dortigen Vorgänge.

Der Würzburger Bischof Rudolf von Scherenberg spielte eine entscheidende Rolle im Fall Hans Böhm. (Abbildung: Wikimedia Commons, CSvBibra.)

Graf Johann III. von Wertheim wendete sich bereits Ende Mai 1476 an die höchste zuständige Instanz und informierte den Erzbischof von Mainz über die zunehmende Pilgermenge. Der Erzbischof zeigte sich besorgt und delegierte die Angelegenheit an den Bischof von Würzburg zur Untersuchung.

Am Würzburger Bischofshof betraute man den bischöflichen Rat Kilian von Bibra mit dem Fall Niklashausen. Bibra reiste zur Vernehmung des Predigers nach Niklashausen, doch von der Anwesenheit der kirchlichen Autorität ließ Hans Böhm sich nicht einschüchtern.

Als Mann der Kirche versuchte Kilian von Bibra danach, Hans Böhm durch ein theologisches Streitgespräch als Scharlatan und Hochstapler zu entlarven. Dafür schickte der bischöfliche Rat mehrere bibelfeste Kleriker nach Niklashausen. Doch der redegewandte Hans Böhm argumentiert geschickt und authentisch. Mit Unterstützung eines namentlich nicht bekannten Mönchs behält er die Oberhand in der öffentlichen Diskussion mit der Amtskirche.


Die Schlinge zieht sich zu: Hans Böhm im Fokus der Obrigkeit

Fürstbischof Rudolf II. von Scherenberg musste erkennen, dass er auf dem theologischen Feld die Begeisterung für den Pauker von Niklashausen so schnell nicht würde brechen können. Deshalb verlagerte er seine Bemühungen auf den Bereich der Politik: Gezielt stellte er die Versammlungen in Niklashausen als beginnenden Bauernaufstand dar und schürte die Furcht vor angeblich heranrückenden eidgenössischen Bauern aus der Schweiz.

Diese Gerüchte versetzten die adeligen Herren der Region in Alarmbereitschaft und auch unter den wohlhabenden Nichtadeligen breitete sich die Sorge vor dem Pauker von Niklashausen aus. Hans Böhm verlor damit massiv an Rückhalt unter der ortsansässigen Oberschicht.

Gleichzeitig schickte der Fürstbischof von Würzburg Spitzel nach Niklashausen, um Beweise gegen Hans Böhm zu sammeln, die ihn als Ketzer und Aufrührer entlarven sollten. Am 13. Juli 1476 war es dann so weit: Bewaffnete stürmten in der Nacht das Zimmer von Hans Böhm, verhaftete ihn (zusammen mit dem Mönch) und brachten beide in den Kerker im Würzburger Schloss.

Bereits am nächsten Tag marschierten empörte Pilger nach Würzburg, um die Freilassung ihres Predigers zu fordern. Hofmarschall Jörg von Gebsattel stellte sich ihnen entgegen und blockierte mit bewaffneten Knechten den Weg. Es kam zu Verhandlungen, bei denen Kunz von Thunfeld das Wort für die Pilger führte. Auf dem Schloss setzte man dem kurzen Aufruhr mit gezielten Warnschüssen aus Kanonen ein Ende - die Pilger flüchteten, einige starben sogar.

Auf der Marienburg in Würzburg wurde Hans Böhm im Kerker gefangen gehalten und verhört. (Abbildung: Wikimedia Commons, Christian Horvat.)

Das Urteil über Hans Böhm

Für den Würzburger Fürstbischof galt es nun, Hans Böhm möglichst schnell und mit überzeugenden Beweisen zu verurteilen. Für wie ernst man die Bedrohung durch den Pauker von Niklashausen hielt, zeigen die Fragen, die man Hans Böhm im Verhör stellte: Ob Böhm Mitglied einer größeren Gruppieren sei? Etwa ein Waldenser oder gar ein Hussit? Gab es noch Hintermänner? War ein bewaffneter Aufstand sein Ziel gewesen?

Schnell erkannten die Verhörenden: Hans Böhm konnte kaum Latein, hatte die Menschen zwar durch sein Charisma begeistert, dabei aber keine konkreten Ziele verfolgt. Einen Umsturz hatte er nie im Sinn.

Damit hatte der Würzburger Bischof ein Problem: Er hatte die Gefahr durch Hans Böhm ja künstlich aufgebauscht und zu einer existentiellen Bedrohung erklärt. Nun wieder zurückzurudern kam nicht in Frage - der Bischof wäre so Gefahr gelaufen, sein Gesicht zu verlieren vor allen, die er mit seinen Horrornachrichten über Aufstand um Umsturz alarmiert hatte.

Man machte kurzen Prozess mit Hans Böhm: Bereits am 19. Juli 1476 erfolgte die Hinrichtung auf dem Scheiterhaufen in Würzburg. Wie bei Ketzern üblich, streute man die Asche in den Main, um ganz sicher zu gehen, den Gläubigen keine Reliquien zu hinterlassen aus denen eine Verehrung des Paukers entstehen hätte können. Zudem verbot der Mainzer Erzbischof im Oktober 1476 die Wallfahrt und drohte allen Pilgern mit der Exkommunikation. Doch auch im Sommer 1477 lockte Niklashausen noch Wallfahrer an - der Erzbischof ließ daraufhin die Kirche abreißen.

Die Luxusgegenstände und Geschenke, die die Pilger in Niklashausen dem Gnadenbild der Maria geopfert hatten, teilten sich der Graf von Wertheim und der Erzbischof von Mainz untereinander auf. In Mainz diente der beschlagnahmte Opferschatz zum Bau einer Brücke und anderer Baumaßnahmen in der Residenz des Erzbischofs. 1481 brannte eines der so finanzierten Gebäude ab - in Niklashausen deutete man das als Gottesurteil und gerechte Bestrafung des Erzbischofs.

Damit hatten der Erzbischof von Mainz und der Bischof von Würzburg alle ihnen zur Verfügung stehenden Machtmittel gegen Hans Böhm komplett ausgenutzt: Der Gefangennahme folgten Verhör und Verbot der Lehre. Kontakt mit Hans Böhm verboten sie unter Androhung des Kirchenbanns, in Niklashausen verboten sie die Messe und sie beschlagnahmten die Einnahmen aus Opfern.


Mediale Propaganda: Wie Hans Böhm zum Pauker und Pfeifer wurde

Um die Wallfahrt nach Niklashausen endgültig zu beenden, setzte der Würzburger Bischof alles daran, den Ruf Hans Böhms als Prophet und "Heiliger Jüngling" nachhaltig zu zerstören. Dafür setzte er eine gezielte Desinformationskampagne auf, die aus Hans Böhm einen musizierenden Narr machen sollte.

Der Bischof gab bereits im August 1476 eine Ballade namens "Die nicklas hausser fart" in Auftrag, in der Hans Böhm massiv verunglimpft wurde. Überregional bestimmte dieser Text bald die Wahrnehmung des Predigers. Die Wirkung war so stark, dass selbst Sebastian Brant in seinem Werk "Narrenschiff" Hans Böhm als Sackpfeifer von Niklashausen auftreten ließ. Zudem betonte der Bischof von Würzburg weiterhin die Gefahr, die von Hans Böhm ausgegangen sei, da dieser noch am Tag vor seiner Verhaftung zum bewaffneten Kampf aufgerufen habe.


Wer war Hans Böhm?

Welche Rolle nimmt der Hirtenjunge aus Wertheim damit im späten 15. Jahrhundert ein? Mit einen revolutionären gesellschaftlichen Ideen und den öffentlichen Verbrennungen von Luxusgütern erinnert Hans Böhm sicherlich einige Leser an Girolamo Savonarola, den berühmten Dominikaner und Bußprediger, der wenige Jahre nach dem Tod von Hans Böhm in Florenz wirkte. Doch im Gegensatz zu Savonarola war Hans Böhm kein Politiker und es fehlte ihm die gelehrte Bildung des italienischen Dominikanermönches.

Hans Böhm fügt sich auch nicht in die Reihe bekannter Bußprediger ein, auch wenn er sich im Verhör auf Johannes Capistranus bezog. Denn die Bußprediger des 15. Jahrhunderts waren auf das Jenseits fixiert und versprachen den reumütigen Menschen den Eintritt ins Paradies. Hans Böhm dagegen bezog seine Gesellschaftskritik direkt auf den Alltag der Menschen, auf das hier und jetzt.

Auch wenn Hans Böhm sich nicht klar einordnen lässt, so ist sein Auftreten doch ein typisches Phänomen des späten 15. Jahrhunderts, das heute als eine Zeit der drängenden Reformen gilt.

„Das auffallendste Phänomen dieser Epoche, die uns wie in einem einzigartigen Kaleidoskop in einer Differenziertheit entgegentritt wie selten eine Epoche, ist eine allgemeine Unzufriedenheit der Bevölkerung mit den bestehenden kirchlichen, politischen und sozialen Verhältnissen.“ (Elmar Weiß: Hans Böhm, S. 6)


Die Problemlage jener Zeit war vielschichtig und betraf häufig die große Politik, doch auch die Lebenswelt von Hans Böhm war teilweise unmittelbar betroffen:

  • Politik: Kaiser Friedrich III. kann sich nicht gegen die Fürsten des Reiches behaupten und scheitert deshalb daran, wirklich tiefgreifende Reformen durchzusetzen. Die Problemstellung "Reichsreform" beschäftigte das Reich bis weit ins 16. Jahrhundert hinein und blieb trotz einzelner Kompromisse zwischen Kaiser und Fürsten ein Stückwerk.
  • Kirche: Die Würzburger Bischöfe hatten i 15. Jahrhundert aufgrund von ihrer Vermischung von weltlichem und geistlichem Amt viel an Ansehen verloren. Ihnen wurde vorgeworfen, ihre geistlichen Aufgaben zu vernachlässigen und boten so eine große Angriffsfläche für kirchenkritische Töne. Hans Böhms Forderungen fielen also in der Region Würzburg auf durchaus fruchtbaren Boden. Auch insgesamt stand es nicht gut um die Gesamtkirche: Es war die Zeit des Großen Abendländischen Schismas mit Päpsten, Gegenpäpsten und einer ganzen Reihe gescheiterter Konzilien. Die religiöse Unzufriedenheit führte zu Reformbewegungen und dem Wunsch nach Veränderung.
  • Volksfrömmigkeit: Die Lebenszeit von Hans Böhm gilt auch als eine Zeit des "Wallfahrtsfiebers". Immer wieder erlebten Wallfahrtsorte, dass die Pilgerströme innerhalb kürzester Zeit zu Massenwallfahrten wurden. So etwa bei der Wallfahrt zum Wilsnaker Blutwunder (1475) oder bei der Wallfahrt zur Schönen Maria in Regensburg (1519).
  • Reformströmungen in der Region: Dem Taubertal zur Zeit Hans Böhms waren reformerisches und revolutionäres Gedankengut nicht fremd. In der Grafschaft Wertheim gab es zum Beispiel bereits seit 1301 Beginenhäuser. Auch die Flagellanten zogen in der Mitte des 14. Jahrhunderts durch Franken. Johannes Rugger, der Oberpfarrer in Laud, wurde 1429 hingerichtet, weil er Gedankengut der Waldenser verbreitete. Über den auch danach noch bestehenden Einfluss der Waldenser zeigte sich das Würzburger Domkapitel mehrfach sehr besorgt. Die Menschen der Gegend waren also vertraut und bekannt an alternativen Blickwinkel auf den christlichen Glauben.
  • Wirtschaft: Hans Böhm wurde nicht ohne Grund Hirte. Denn der Grundbesitz in Wertheim und Umgebung war extrem zersplittert und zudem mit hohen Abgaben belastet. Am Ende blieb vielen Menschen nichts anderes übrig, als sich als Tagelöhner oder Wanderarbeiter zu verdingen. Die Kombination aus Abgaben, Frondiensten und der Anschaffung neuer moderner Geräte brach so manchem Bauern das Genick - und machte ihn aufgeschlossen für Thesen, die die gesellschaftliche Realität hinterfragten.

Weil sich in der Person Hans Böhms viele der markantesten Problemstellungen des späten 15. Jahrhunderts artikulierten, wurde er von der Geschichtswissenschaft früh als ein Vorbote späterer Entwicklungen hervorgehoben. So bezeichnete der protestantische Historiker Carl Ullmann (1796 - 1865) Hans Böhm als einen "Reformator vor der Reformation". 

Für die deutschnationale Geschichtsschreibung war Hans Böhms Kritik am Papst ein Zeichen für das Erwachen des deutschen Nationalbewusstseins. Und in der DDR-Geschichtsforschung galt 1476 gar als "Epochenjahr" für den Beginn der Neuzeit.

So intensiv Hans Böhm und sein Wirken von diesen Historikern untersucht wurde, so wenig Wirkung entfaltete der Pauker von Niklashausen unmittelbar nach seinem Tod: Weder die Bundschuh-Bewegung noch die Bauernkrieger des Jahres 1525 beriefen sich auf Hans Böhm und seine Predigten.

Die sogenannten Bauernaufstände ergriffen auch die Gegend um Würzburg. Das Gedankengut Hans Böhms diente den Bauern dabei jedoch nicht als Grundlage. (Abbildung: Wikimedia Commons, Sansculotte.)

Ohne Hans Böhm und die Wallfahrt nach Niklashausen also mit zu viel Bedeutung zu überfrachten, können die Ereignisse von 1476 dennoch als Indiz gesehen werden für eine Zeit des Umbruchs, in der die Menschen mit neuen Herausforderungen konfrontiert waren und neue Antworten verlangten. Dass Hans Böhm mit seinen Predigten eine solche Wirkung entfalten konnte bedurfte einer allgemeiner Unzufriedenheit mit den gesellschaftlichen, politischen und religiösen Entwicklungen der Zeit.

Die Menschen waren offen für Veränderung und schenkten jenen ihr Ohr, die ihnen Wandel versprachen. Und wenn es nur ein Hirtenjunge aus Wertheim war.


Literatur zu Hans Böhm, dem Pauker von Niklashausen

Arnold, Klaus: Niklashausen 1476. Quellen und Untersuchungen zur sozialreligiösen Bewegung des Hans Beheim und zur Agrarstruktur eines spätmittelalterlichen Dorfes, Baden-Baden 1980.
Wunderli, Richard: Peasant Fires. The Drummer of Niklashausen, Bloomington 1992.

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