Sommer 1285: Es herrscht Aufruhr
in Wetzlar. Vor den Toren der Reichsstadt schlägt der König, Rudolf von
Habsburg, sein Lager auf. Rudolf kocht vor Zorn, droht mit der Belagerung und
Zerstörung der Stadt. Wetzlar steht am Rand der Katastrophe.
Im Zentrum des ganzen Streits:
Kaiser Friedrich II., der sich in Wetzlar aufhält und den Rudolf von Habsburg
verhaften will. Friedrich II., römisch-deutscher Kaiser, König von Sizilien, einer
der bedeutendsten Herrscher des Mittelalters – und im Jahr 1285 schon seit über
30 Jahren tot!<
Wer also ist dieser vermeintliche
Kaiser Friedrich, dessen Auftreten in Wetzlar zu solch schwerwiegenden politischen
Erschütterungen führt?
Neuzeitliche Darstellung von Tile Kolup
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Das misslungene Debüt des falschen Friedrich
Neuzeitliche Darstellung von Tile Kolup (Quelle: Wikimedia Commons) |
Wir wissen nicht viel über die
Herkunft des falschen Kaiser Friedrichs vom Niederrhein. Vermutlich hieß er
eigentlich Tile Kolup, ein niederdeutscher Name, der auf hochdeutsch Dietrich
Holzschuh lautet. Wo und wann er geboren wurde, das weiß wohl schon Ende des
13. Jahrhunderts kaum einer.
Um das Jahr 1283 hat Tile Kolup
in Köln dann zum ersten Mal öffentlich behauptet, er sei Kaiser Friedrich. So
recht glauben will ihm das aber offenbar niemand. Die Stadtherren lassen den
falschen Friedrich verhaften. Doch selbst im Kerker hält der Gefangene an
seiner Behauptung fest, er sei tatsächlich der Kaiser Friedrich. Den Kölnern
wird dieses anmaßende Verhalten zu bunt: Sie führen den falschen Friedrich auf
den Marktplatz, wo er – mit einer wertlosen Krone auf dem Haupt – dem allgemeinen
Spott ausgesetzt wird. Dann jagen sie ihn aus der Stadt.
Neuss: Glanz und Gloria des falschen Kaisers
Doch nicht alle sind dem falschen
Friedrich so feindlich gesonnen wie die Kölner. In der Nachbarstadt Neuss findet
der Vertriebene schnell freundliche Aufnahme sowie materielle Unterstützung
durch die Bürger. Hier beginnt nun die Erfolgsgeschichte des falschen
Friedrichs: Die Nachricht von seiner Anwesenheit verbreitet sich rasch und
immer mehr Menschen strömen nach Neuss, um den zurückgekehrten Kaiser zu sehen.
Laut zeitgenössischen Schilderungen präsentiert sich der falsche Friedrich in
seinem Auftreten kaisergleich: Er empfängt Gesandtschaften, versendet Briefe an
verschiedenen Fürsten und entfaltet eine eigene Hofhaltung. Sogar aus den lombardischen
Städten treffen Gesandte ein, um sich ein Bild von dem Kaiser zu machen, der da
in Neuss Hof hält.
Tile Kolup: Große Pläne in Frankfurt
Doch einem missfällt der ganze
Trubel gehörig: Im Mai 1285 erscheint der Kölner Erzbischof, Siegfried von
Westerburg, vor Neuss. Er verlangt, dass man ihm den vermeintlichen Kaiser
Friedrich ausliefern solle. Daraufhin flieht der falsche Friedrich aus Neuss
und wendet sich Richtung Süden nach Frankfurt am Main. Dort soll ihn, so seine
Hoffnung, eine Fürstenversammlung die Anerkennung als Kaiser verschaffen – ganz
in der Tradition Frankfurts als Wahlort der deutschen Könige. Auch der echte
Friedrich II. hat sich hier 1212 in einer Nachwahl in seiner Königswürde
bestätigen lassen. Doch alle Pläne des falschen Friedrichs, so an die Biographie
des verstorbenen Kaisers anzuknüpfen, scheitern. Es kommt nie zu einer Versammlung.
Der falsche Friedrich im Konflikt mit dem König
Stattdessen findet sich der
falsche Friedrich in Wetzlar ein – und damit im Epizentrum eines bedrohlichen
Konflikts zwischen König Rudolf von Habsburg und einer Städtegruppe um
Frankfurt am Main, Friedberg, Gelnhausen und eben Wetzlar. Auslöser des
Konflikts sind Steuerpläne des Königs, gegen die sich die Städte wehren. In
dieser angespannten Situation, die sich zu einer unmittelbaren Bedrohung für
seine Herrschaft entwickeln könnte, will Rudolf dem Treiben des falschen
Friedrichs endgültig ein Ende setzen. Zornig rückt er auf Wetzlar vor und
fordert die Auslieferung des falschen Kaisers.
Innerhalb der Reichsstadt Wetzlar
entbrennt daraufhin im Sommer 1285 Streit zwischen den Ratsmitgliedern und dem
einfachen Volk. Besonders bei den unteren Schichten der Stadt genießt der
falsche Friedrich offenbar einen enormen Rückhalt: Das Volk stellt sich vor den
Mann, den sie für den Kaiser Friedrich halten. Der Rat der Stadt will den
falschen Friedrich dagegen aus Sorge vor einer Belagerung der Stadt möglichst
schnell an König Rudolf ausliefern. Zudem hatte man sich im Streit um die
Besteuerung mit dem Herrscher geeinigt und will nun nicht erneut für
Konfliktpotential sorgen.
Scheiterhaufen statt Thron für den falschen Friedrich
Schließlich setzt sich die
städtische Obrigkeit durch: Nach der Auslieferung wird der falsche Friedrich am
7. Juli 1285 vor den Toren Wetzlars verbrannt. Diese Form der Hinrichtung war
sowohl Fälschern als auch Ketzern vorbehalten. Der falsche Friedrich hat sich in
den Augen von geistlichen und weltlichen Großen beider Verbrechen schuldig
gemacht.
Die Sehnsucht des Volkes nach dem Endzeitkaiser
Doch wie kam es, dass der falsche
Friedrich überhaupt für eine beachtliche Zeit so erfolgreich eine beachtliche
Zahl an Unterstützern aus allen Schichten der Bevölkerung für sich gewinnen
konnte?
Ganz grundlegend eigneten sich Leben
und Person Kaiser Friedrichs II. besonders gut, um eine postmortale
Legendenbildung zu befördern. Der Tod im fernen Apulien eröffnet die Möglichkeit
zu allerhand Spekulationen und Zweifeln – vor allem weil von der Propaganda der
Gegner Friedrichs zu seinen Lebzeiten nicht selten das falsche Gerücht gestreut
worden war, der Kaiser sei verstorben. Zudem hatte die päpstliche Propaganda
den kaiserlichen Widersacher immer wieder als Teufel oder Antichristen
denunziert. Schon vor seinem Tod war Friedrich II. deshalb für viele
Papstanhänger eine obskure und verdächtige Person.
Der letzte Kaiser am Ende aller Zeiten
Dazu fällt das Auftreten des
falschen Friedrichs vom Niederrhein in eine Zeit der politischen Krise. Auf den
Tod Kaiser Friedrichs II. und das Ende der staufischen Herrschaft folgt eine Zeit
der politischen Unruhe ohne dynastische Konstanz, das sogenannte Interregnum.
In dieser Umbruchsphase nehmen die sozialen Spannungen zu, besonders in den
Städten, wo es in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts vermehrt zu
Aufständen der Handwerker und des einfachen Volkes kommt. Doch eine nachhaltige
Verbesserung der Zustände blieb vorerst aus. Verständlicherweise machte diese
gefühlte Ausweglosigkeit viele Menschen empfänglicher für endzeitliche
Hoffnungen und Versprechen. Im Volk verbreitet der Glaube an das baldige
Erscheinen eines Endkaisers Friedrich, dessen Herrschaft allen Menschen Frieden
und Wohlstand bringen sollte, bevor dann das Erscheinen des Antichristen der
Welt ein Ende setzen würde. Der falsche Friedrich verdankt seine Anhängerschaft
in nicht geringem Maß der Hoffnung der Bevölkerung, dass Kaiser Friedrich II.
nicht gestorben sei, sondern nun als End- und Friedenskaiser zurückkehre, um
die bedrückenden gesellschaftlichen Probleme zu lösen.
Der falsche Friedrich – kein Einzelfall
Dabei war Tile Kolup nicht der
einzige, der in die Rolle des toten Kaisers schlüpfte. Bereits in den 1250er
Jahren war auf Sizilien ein Bettler namens Johannes von Cocleria aufgetreten
und hatte von sich behauptet, er sei Kaiser Friedrich. Im Juli 1284 zog ein gewisser
Heinrich durch das Elsass und nahm ebenfalls für sich in Anspruch, Friedrich
II. zu sein. Doch nicht nur Kaiser Friedrich II. erschien Jahre nach seinem Tod
wieder urplötzlich unter den Lebenden: In den Anfangsjahren der Herrschaft
König Konrads III. (1127–1135) soll dessen verstorbener Vorgänger, Heinrich V.
(1106–1125), in Erscheinung getreten sein. Um 1270 tritt am Oberrhein ein
falscher Konradin auf. Und um 1225 bricht in Flandern sogar ein Bürgerkrieg
aus, als ein falscher Herzog Balduin seine Ansprüche auf die Herzogswürde
durchzusetzen versucht.
Die Erwartungen der politischen Elite an den falschen Kaiser
Dennoch sollte man nicht den
Fehler machen, die Erfolge des falschen Friedrichs vom Niederrhein lediglich durch
den naiven volkstümlichen Glauben an die Erlösung der Welt durch einen
Endkaiser zu erklären – schließlich zählten auch Fürsten und andere Mitglieder
der politischen Führungsschicht zu den Anhängern des falschen Kaisers. Für sie
verband sich mit der Unterstützung des falschen Friedrichs die Möglichkeit,
eigene politische Interessen durchzusetzen. So sicherte sich zum Beispiel die
Äbtissin von Essen in ihrer Auseinandersetzung mit dem Kölner Erzbischof die
Unterstützung des vermeintlichen Kaisers Friedrich, der ihr gewisse Rechte
zusicherte. Auch die Gegner König Rudolfs von Habsburg versammelten sich um den
falschen Friedrich. Im Fall des falschen Friedrichs von Sizilien waren mit
seinem Auftreten ebenfalls konkrete politische Hoffnungen verknüpft: Mit
gefälschten Schriftstücken sollte die Städte und Adeligen der Insel gegen die
Herrschaft König Manfreds aufgewiegelt werden. Verständlicherweise reagierte
Manfred prompt mit der Hinrichtung des falschen Friedrichs. Der falsche Balduin
war ein Kristallisationskern für alle, die gegen die Herrschaft der Gräfin
Johanna von Flandern rebellierten.
Die falschen Friedriche: Ein
Phänomen des 13. Jahrhunderts zwischen latenter Krisenerfahrung, messianischer
Endzeiterwartungen und politischen Hoffnungen.
Tile Kolup als falscher Friedrich: Weiterführende Literatur
Möhring, Hannes: Der Weltkaiser der Endzeit. Entstehung, Wandel und Wirkung einer tausendjährigen Weissagung. Stuttgart 2000 (=Mittelalter-Forschungen 3).
Schwinges, Rainer Christoph: Verfassung
und kollektives Verhalten. Zur Mentalität des Erfolges falscher Herrscher im
Reich des 13. und 14. Jahrhunderts, in: Graus, František (Hrsg.): Mentalitäten im Mittelalter. Sigmaringen 1987, S.
177–202.
Struve, Tilman: Die falschen Friedriche
und die Friedenssehnsucht des Volkes im späten Mittelalter. In: Fälschungen im
Mittelalter. Internationaler Kongress der Monumenta Germaniae Historica
München, 16.-19. September 1986, Hannover 1988, Teilband 1, S. 317-337.
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