Frühmittelalter
Herrscher
Karl der Große
Kreuzzüge
Kaiser und Kalif: Karl der Große und der Orient
Mai 11, 2016
Karl der Große: Kriegsherr und
Heiliger, Vater Europas und Kaiser, Förderer der Wissenschaften – und erster
Kreuzritter?!
Tatsächlich: In der Mitte des 11.
Jahrhunderts – über 200 Jahre nach dem Tod Kaiser Karls – berichtet eine
Erzählung aus dem französischen Kloster Saint Denis bei Paris vom erfolgreichen
Heerzug Karls des Großen ins Heilige Land und der Eroberung Jerusalems. Zum
Dank habe der Kaiser wertvolle Reliquien erhalten: einen Teil der Dornenkrone
Christi und einen Nagel des Wahren Kreuzes. Diese Kostbarkeiten habe König Karl
der Kahlen (gest. 877) schließlich dem Kloster Saint Denis übergeben.
Stattgefunden hat ein solcher
Kreuzzug Karls des Großen jedoch nie, da sind sich die Historiker heute sicher.
Vielmehr sollte die Erzählung unter anderem eine Erklärung dafür liefern, wie
man im Kloster Saint Denis in den Besitz der bedeutenden Reliquien gelangt war.
Gleichzeitig diente die Verbreitung des Wissens um die Existenz dieser
Reliquien der Wiederaufwertung des Klosters.
Was ist also dran an den Berichten der mittelalterlichen Geschichtsschreiber?
Beruht die Vorstellung, Karl der
Große sei selbst als Pilger oder gar als Kreuzritter in den Orient gezogen im
Kern auf realen Begebenheiten? Immerhin mussten es die Leser der Erzählung der
Mönche von Saint Denis ja durchaus für plausibel halten, dass Karl der Große
ein solches Unternehmen angeführt haben könnte.
Oder sind die Kreuzzugserzählungen
nur Früchte der überschäumenden Phantasie der mittelalterlichen Autoren – und
damit Teil der ausufernden Mythenbildung rund um den ersten karolingischen
Kaiser? Schließlich musste Karl der Große im Hoch- und Spätmittelalter überall
dort als Gründer und Stammvater herhalten, wo ein Geschichtsschreiber die
besonders Ausnahmestellung eines Klosters oder eines Adelsgeschlechts betonen
wollte.
Die islamische Welt zur Zeit Karls des Großen
Die islamischen Herrschaftsgebiete
erstreckt sich um 800 vom Nahen Osten über Nordafrika bis nach Spanien – und
bildet keineswegs einen einheitlichen Herrschaftskomplex. Seit 750 herrschen in
Bagdad Kalifen aus der Dynastie der Abbasiden. In Spanien dagegen kann sich im
Emirat von Córdoba die alte umayyadische Herrscherdynastie halten, die jedoch
von rebellischen islamischen Lokalherrschern unter Druck gesetzt wird. Und in
der Tat: Sowohl nach Spanien als auch nach Bagdad bestehen Verbindungen Karls
des Großen.
Darstellung Karls des Großen in der Chronik des Ekkehard von Aura um 1112/14, Cambridge Corpus Christi, Ms 373, fol. 24r (Quelle: Wikimedia Commons) |
Die Gesandtschaft Karls des Großen nach Bagdad
Schon König Pippin, der Vater
Karls des Großen, hat in den 760er Jahren Gesandte zum Abbasidenkalif Al-Mansur
(754–775) geschickt und damit den begrenzten politischen Horizont der späten
Merowingerkönige radikal erweitert. Im Jahr 797 bricht dann eine dreiköpfige
Gesandtschaft Karls des Großen nach Bagdad auf: Zwei Franken namens Landfrid
und Sigismund sowie ein Jude namens Issak, der als Fernhändler wohl die nötigen
Sprach- und Ortskenntnisse mitbringt. Von der gefahrvollen Reise an den Hof des
Kalifen Harun Ar-Raschid kehrt Isaak als einziger zurück – jedoch nicht
alleine.
Von seiner fünfjährigen Mission
nach Bagdad bringt Isaak wertvolle Geschenke des Kalifen für Karl den Großen
mit, darunter einen Elefanten. Abul Abaz ist der erste namentlich bekannte
Elefant nördlich der Alpen. Eine Sensation im frühmittelalterlichen Europa! Das
exotische Geschenk bedeutet einen enormen Prestigegewinn für Karl den Großen –
das fremde und mächtige Tier ist ein weiteres Zeichen seiner herausragenden
Stellung. Gleichzeitig stiftet der Austausch von Geschenken im Mittelalter auch
eine besondere Beziehung zwischen zwei Personen. Die Präsente sind also nicht
nur als wohlwollende Gunsterweise zu verstehen, sondern hatten durchaus eine
Bedeutung als politisches Instrument. Die Annahme oder Ablehnung von Geschenken
kann deshalb auch als Aussage über den aktuellen Stand der Beziehung zwischen
zwei Parteien verstanden werden.
Geschenke aus Bagdad
Doch der weiße Elefant ist nicht
das einzige Geschenk aus Bagdad. Isaak bringt auch kostbare Kleider mit, die in
den fränkischen Quellen ausdrücklich erwähnt werden. Auch diese wertvollen
Textilien steigern das symbolische Kapital Karls – doch können sie ebenso gut
als subtiler Hinweis darauf gedeutet werden, welchen Rang der Kalif dem
fränkischen Herrscher tatsächlich zuspricht.
Vielleicht handelt es sich
nämlich bei dem Geschenk um ein Ehrengewand (hil’a), das sonst untergeordnete Amtsträger vom Kalifen erhalten –
und das damit auf symbolischer Ebene die Überlegenheit des Kalifen auch
gegenüber Karl ausdrückt. Wahrscheinlich ist man sich am Hof Karls des Großen
dieser subtilen Zurückstufung aber gar nicht bewusst.
Seinem Selbstverständnis nach steht
Karl nämlich nahezu gleichrangig neben dem byzantinischen Kaiser und auch dem
Kalifen von Bagdad. Dass man in Bagdad ganz anders denkt, zeigt nicht nur das
Geschenk des Ehrengewandes, sondern auch das bezeichnende Schweigen der
arabischen Quellen über die fränkische Gesandtschaft. Offenbar ist die Ankunft
der Franken kein berichtenswertes Ereignis. In den fränkischen Quellen erfahren
die Berichte über die Gesandtschaften dagegen relativ viel Aufmerksamkeit. Noch
in späteren Jahrhunderten erinnert man sich in Deutschland an die Orientgesandten
Karls: In der „Historischen Galerie“ im Maximilianeum in München mit ihren Historiengemälden
zu Höhepunkten der Weltgeschichte findet sich auch ein Gemälde der
Gesandtschaft Karls an Harun al-Raschid.
Julius Köckert: Harun al-Raschid empfängt die Gesandtschaft Karls des Großen (1864) (Quelle: Wikimedia Commons) |
Gesandtschaftsverkehr zwischen den Höfen
Der wahrscheinliche Zweck der
Gesandtschaft, die prekäre Lage der christlichen Klöster in Jerusalem, macht
auch nach 800 weiteren diplomatischen Austausch zwischen dem fränkischem Reich
und dem Kalifat von Bagdad nötig. Mit dem oströmischen Reich und dem Emir von
Cordoba hat man zudem gemeinsame Gegner. So folgt 802 unmittelbar nach der
Rückkehr Isaaks eine weitere fränkische Gesandtschaft in den Nahen Osten, die
insgesamt vier Jahre unterwegs ist. Auch sie hat Geschenke dabei: Tuche aus
Friesland und Jagdhunde. Im Jahr 807 treffen dann auch Gesandte aus dem Orient
am Hof Karls des Großen ein: Zwei Mönche aus Jerusalem und Beauftragte des
Kalifen bringen kostbare Seidengewänder und weitere exotische Geschenke mit –
darunter eine Wasseruhr. Auch wenn wir den genauen Inhalt der Verhandlungen und
Gespräche zwischen Karl und den Gesandten nicht kennen, zeigt die Übergabe von
Geschenken, dass man zu einem grundsätzlichen Konsens gekommen sein muss.
Karl der Große im Orient: Mythos und Wahrheit
Ganz ohne historische Basis fertigte
man in Saint Denis die Kreuzzugserzählung also nicht an. Zwar bestanden
Kontakte Karls in den Orient, jedoch nur in Form von Gesandtschaften. Selbst
auf den Weg nach Osten hat Kaiser Karl sich nie gemacht – von einem Heerzug
ganz zu schweigen. Dennoch ist auch dieser Aspekt nicht ganz aus der Luft
gegriffen: Tatsächlich unternahm Karl der Große militärische Vorstöße gegen den
Emir von Córdoba. Im Rahmen der Legendenbildung um Karl den Großen und unter
dem Eindruck der Kreuzzüge des 12. Jahrhunderts verbanden sich später das
Wissen um die Kämpfe Karls mit den Muslimen und um die Kontakte in den Orient
zu einer neuen Geschichte vom Kreuzfahrer Karl.
Literatur
Segelken, Barbara/Urban, Tim: Karl der Große als Akteur
im Mittelmeerraum. In: Kaiser und Kalifen. Karl der Große und die Mächte am
Mittelmeer um 800, hg. von der Stiftung Deutsches Historisches Museum, Berlin/Darmstadt
2014, S. 10-13.
Jaspert, Nikolas: Von Karl dem Großen bis Kaiser Wilhelm: Die
Erinnerung an vermeintliche und tatsächliche Kreuzzüge in Mittelalter und
Moderne, in: Gaube, Heinz/Schneidmüller, Bernd/Weinfurter, Stefan (Hg.):
Konfrontation der Kulturen? Saladin und die Kreuzfahrer, Mainz 2005, S. 136-159
(=Schriftenreihe des Landesmuseums für Natur und Mensch, 34).
Bieberstein, Klaus: Der
Gesandtenaustausch zwischen Karl dem Großen und Harun ar-Rasid und seine
Bedeutung für die Kirche Jerusalems. In: Zeitschrift des Deutschen
Palästinavereins 109 (1993), S. 152-173.
2 Kommentare
Ein weiterer Beweis dafür, dass Karl der Große nie existiert hat. Keine Erwähnung in den arabischen Quellen? Das solcher Art Kontakte in Bagdad ignoriert wurden, ist wahrlich unwahrscheinlich.
AntwortenLöschenHe, Samson! Es gab Karl den Großen!!!!!!!!!!!!! Ich finde den Text sehr gelungen und weiß nun mehr über das Thema, was ich auf der Uni gut gebrauchen kann!!! Danke!
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