Die Schandstrafe des Hundetragens

Im Jahr 1155 trug sich auf dem Hoftag zu Worms ein außergewöhnliches Spektakel zu: Pfalzgraf Hermann von Stahleck musste vor Kai...

Im Jahr 1155 trug sich auf dem Hoftag zu Worms ein außergewöhnliches Spektakel zu: Pfalzgraf Hermann von Stahleck musste vor Kaiser Friedrich Barbarossa und der versammelten Führungsschicht des Reiches einen Hund tragen. Mit dieser Handlung wurde der Pfalzgraf als Friedensbrecher bestraft, denn er hatte sich mit dem Erzbischof von Mainz im Rahmen einer Fehde bekämpft.

Was für heutige Ohren wie eine kuriose, aber im Grunde eher harmlose Bestrafung klingt, bedeutete für die Zeitgenossen eine Aufsehend erregend harte Strafe. Bischof Otto von Freising, der uns das Ereignis in seinem Geschichtswerk überliefert hat, weiß zu berichten, dass das Hundetragen eine Alternative zur Todesstrafe war. Die Wirkung im Reich sei enorm gewesen, so Otto: „Als dieses strenge Urteil im ganzen transalpinischen Reich verbreitet wurde, befiel alle ein solcher Schock, dass sie lieber Frieden halten, als sich auf Kriegswirren einlassen zu wollen.“ (Otto von Freising, Gesta Frederici, lib. II cap. 48)

Obwohl der Pfalzgraf also körperlich unversehrt blieb, wurde seine Ehre durch diese Form der Strafe massiv beschädigt. Wieso das in der mittelalterlichen Gesellschaft eine solch empfindliche Bestrafung war und wie sich die Strafe des Hundetragens im Lauf des Mittelalters entwickelten, erfahrt ihr in diesem Blog-Artikel.

Das Tragen eines Hundes galt im Mittelalter als Bestrafung. (Abbildung: British Library, Additional 26968, f. 277.)


Was sind Ehren- und Schandstrafen überhaupt?

Das Hundetragen zählt zu den sogenannten Ehren- bzw. Schandstrafen. Darunter versteht man Strafen, durch die der Verurteilte zwar gedemütigt und öffentlich bloßgestellt wurde, jedoch keinen körperlichen Schaden davontrug. Es handelt sich dabei also um eine öffentliche Inszenierung, die die gesellschaftliche Stellung des Bestraften herabsetzte und ihn zum Ziel von Verspottungen, Beschimpfungen und Demütigungen machte.

Neben dem Hundetragen gab es im Mittelalter und der Frühen Neuzeit eine ganze Reihe weiterer Formen der Schandstrafen: Zu den bekanntesten zählen sicherlich der Pranger, der Schandkorb, die Schandmaske, der Eselsritt, der Lästerstein und der Schandmantel. Oft wurden die Schandstrafen als sogenannte spiegelnde Strafen verhängt: Ein Falschspieler musste eine Holzkette mit Würfeln um den Hals trafen, der Verstoß gegen die städtische Kleiderordnung wurde mit dem Anlegen eines Schandkleides bestraft.

Doch warum gab es im Mittelalter überhaupt Strafen, die die Ehre einer Person schädigten?

Solche Ehrenstrafen waren keine harmlosen Scherze, sondern hatten empfindliche Konsequenzen für den Bestraften, denn die Ehre (honor) war im Mittelalter nicht nur ein moralischer Wert, sondern eine wichtige Währung mit der der Rang einer Person innerhalb der Gesellschaft definiert wurde. War die Ehre einer Person beschädigt, dann auch sein Rang und sein Ansehen innerhalb der Gesellschaft. Wer – im schlimmsten Fall – als ehrlos galt, dem war der normale soziale Umgang mit seinen Mitmenschen praktisch unmöglich.

Die Ehre war im Hochmittelalter ein wichtiger Bezugspunkt des politischen Handelns, denn Ehre (und damit Rand und Ansehen) mussten ständig öffentlich wirksam in Szene gesetzt werden durch verschiedene etablierte Formen der symbolischen Kommunikation. Wurde die Ehre einer Person dagegen verletzt, so musste alles darangesetzt werden, die verletzte Ehre wiederherzustellen. Welche Konsequenzen das haben konnte, musste zum Beispiel Richard Löwenherz am eigenen Leib erfahren: Er hatte im Heiligen Land die Ehre des österreichischen Herzogs Leopold verletzt und sich damit die Feindschaft des Habsburgers zugezogen. Am Ende landete Richard Löwenherz sogar in der Gefangenschaft des Herzogs.

Die wechselvolle Geschichte des Hundetragens

Friedrich Barbarossa war nicht der erste Herrscher, der einen Delinquenten zum Hundetragen verurteilte. Das früheste Beispiel für die Strafe des Hundetragens stammt aus der Sachsengeschichte des Widukind von Corvey. Die frühmittelalterlichen Stammesrechte kannten diese Form der Bestrafung dagegen noch nicht. Interessanterweise gibt es Hinweise, dass sich die Interpretation und Wahrnehmung dieses Rituals dabei vom Frühmittelalter bis in die Stauferzeit massiv verschoben hat.

Widukind berichtet für das Jahr 937, dass König Otto der Große den Grafen Eberhard – immerhin einer der mächtigsten Männer des Reiches – wegen unerlaubter Fehde mit sächsischen Vasallen zu einer Buße von 100 Pferden verurteilte. Alle Vasallen, die den Grafen unterstützt hatten, mussten Hunde bis zur Stadt Magdeburg tragen. Anschließend wurden alle Verurteilten wieder in die Gnade des Königs aufgenommen und die Bestraften damit wieder rehabilitiert nach ihrer Bestrafung.

Auch der Markgraf von Mailand musste im Jahr 1008 einen Hund tragen. Er wurde auf diese Weise dafür bestraft, dass er die Stadt Asti angegriffen hatte. Auch der Erzbischof von Mailand, der den Markgrafen dabei unterstütz hatte, wurde bestraft – allerdings musste er keinen Hund tragen, sondern ein Buch.

Dieses wichtige Detail ist aus zwei Gründen wichtig: Zum einen, weil es also verschiedene Formen der Bestrafung für unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen gab. Zum anderen, weil das Tragen eines Buches für den Erzbischof sicherlich keine entehrende Wirkung hatte. Das Buch ist vielmehr ein Standessymbol des Kirchenmannes. Konsequenterweise war im Frühmittelalter für den Adligen der Hund an sich kein entehrendes Tier – er war vielmehr ebenfalls ein Zeichen seines Standes.

Dass das Tragen eines Gegenstandes im Frühmittelalter eine Form der Spiegelstrafe war, bestätigt sich durch den Blick auf ein Gesetz des Karolingerkönigs Ludwig II. aus dem Jahr 866: Wer Kriegsgerät, Waffen, Pferde oder Ochsen während der Fastenzeit stahl, der musste sich einen Sattel auf den Rücken binden lassen und so vor den König treten. Der spiegelnde Bezug zwischen Strafe und Vergehen ist hier offenkundig.

Jagdhunde leisteten ihren adeligen Besitzern treue Dienste - wie etwa hier beim Aufspüren eines Kaninchenbaus (Abbildung: British Library, Additional 62925, f. 57v.)


Die entscheidende Frage: Welche Bedeutung hat der Hund?

Doch welche Bedeutung hatte dann der Hund in Verbindung mit einem Adeligen? Ein Blick in die Geschichte zeigt: Während in der Antik eine positive Bewertung des Hundes vorherrschte, gilt der Hund in der Bibel als negativ besetztes Tier. Im Buch der Apokalypse heißt es etwa: „Selig, wer sein Gewand wäscht. Er hat Anteil am Baum des Lebens und wird durch die Tore in die Stadt eingelassen. Draußen bleiben dagegen die Hunde und die Zauberer, die Unzüchtigen und die Mörder, die Götzendiener und die Lügner.“ (Apokalypse 22,14-15).

Dementsprechend könnte man durchaus vermuten, dass das Tragen eines Hundes den Träger in seiner Ehre beschmutzt. Vor allem, wenn man bedenkt, dass Hunde im Mittelalter auch im Kontext von Todesstrafen auftauchen: Gelegentlich wurden nämlich neben den zum Tod am Galgen Verurteilten auch noch Hunde aufgeknüpft. Doch in der Lebenswelt der mittelalterlichen Menschen bestätigt sich dieses negative Bild vom Hund nicht: Hunde wurden bei Adel und Volk geschätzt als Jagdhunde, Wachhunde und Hütehunde.

Überhaupt stammt die erste negative Bewertung des Hundetragens erst aus dem frühen 12. Jahrhundert. Cosmas von Prag berichtet von der Bestrafung eines Aufständischen durch den Herzog von Böhmen: Der Verurteilte musste sich einen besonders räudigen Hund auf den Rücken binden lassen. Zuvor hatte man den Hund auch noch mit verdorbener Brühe gefüttert – mit entsprechenden unappetitlichen Konsequenzen auf den Verdauungstrakt des Tieres, die sich nun über den Verurteilten ergossen und ihn so auch äußerlich zusätzlich beschmutzten. Ein Herold kommentierte die Szene: „Eine solche Ehre trägt der, der dem Herzog Wladislaus die versprochene Treue gebrochen hat!“

Was hier zutage tritt ist eine massive Umdeutung des Rituals des Hundetragens: Denn im Gegensatz zu den Vasallen des Grafen Eberhard und dem Markgrafen von Mailand wurde der Aufständische in Böhmen nach der Bestrafung auch nicht wieder in die Huld des Herrschers aufgenommen, sondern musste ins Exil gehen.

Entscheidend für das Verständnis des Hundetragens im 10. Jahrhundert ist es zu wissen, dass der Hund im Mittelalter auch für Treue (fides) stand. Das Tragen eines Hundes war damit zwar eine Ehrenstrafe, die für den Moment die Ehre des Trägers beschädigte, brachte aber gleichzeitig das Versprechen zum Ausdruck, dass die Treue zum Herrscher in Zukunft vom Verurteilten wieder eingehalten werde.

Indem der Verurteilte also einen Hund trug, brachte er symbolisch – als integraler Teil der Bestrafung – zum Ausdruck, dass er auch die Treue zum Herrscher wieder bei sich trug. Treue und Verwandtschaft waren die beiden wichtigsten Bänder, die die politische Führungselite im Mittelalter verbanden, entsprechend wichtig war es also, dass gestört Treueverhältnisse öffentlichkeitswirksam wiederhergestellt wurden. Das Hundetragen war damit tatsächlich eine verhältnismäßig ehrenvolle Strafe, die vor allem auf die Wiederherstellung der vorherigen Ordnung abzielte.

Beweis der Treue über den Tod hinaus: Illustration zu einer Geschichte, in der ein Hund den Mörder seines Herrchens erkennt, attackiert und so überführt (Abbildung: British Library, Royal 12 C XIX, f. 21.)


Ein neues Herrschaftsverständnis im 12. Jahrhundert

Doch wieso war das Hundetragen dann im 12. Jahrhundert eine sehr harte Strafe, die von Zeitgenossen sogar als Ersatz für die Todesstrafe verstanden wurde?

Für den Historiker Bernd Schwenk sind es die sich veränderten politischen, sozialen, rechtlichen und religiösen Rahmenbedingungen, die dazu führten, dass sich auch die Formen der Konfliktlösung änderten.

Im 10. Jahrhundert lag der Fokus des Herrschers vor allem auf der Wiederherstellung des Friedens und der bisherigen Ordnung. Ausgleich und Vermittlung waren die zentralen Richtlinien der königlichen Rechtsprechung und gütliche Einigungen waren das angestrebte Ziel. Die wichtigste Herrschertugend waren Gnade (gratia), Milde (clementia) und Barmherzigkeit (misercordia). Konflikte wurden in Form der Unterwerfung (deditio) gelöst – wobei sich der Unterwerfende stets sicher sein konnte, am Ende wieder in die Gnade des Herrschers aufgenommen zu werden.

Im 12. Jahrhundert dagegen war die Milde nicht mehr gefragt als Herrschertugend. Jetzt galt als guter Herrscher, wer für Gerechtigkeit sorgte und hart gegen Ungerechtigkeiten vorging. An Kaiser Friedrichs Barbarossas wird deshalb zum Beispiel in den zeitgenössischen Quellen an verschiedenen Stellen gelobt, dass er „gerecht im Gericht“ sei (Otto von Freising) oder ein „Verehrer der Gerechtigkeit“ und „Freund der Gesetze“ (Acerbus Morena).

Deutlich wird dieser neue Fokus auf Gerechtigkeit, wenn man vergleicht, wie die Königskrönung von Konrad II. (1024) und von Friedrich Barbarossa (1152) von den zeitgenössischen Chronisten beschrieben wird und welche Herrschertugenden jeweils ins Zentrum gestellt werden.

Werfen wir zunächst einen Blick auf die Krönung des Saliers: Laut Wipo traten auf den frisch gekrönten König Konrad II. mehrere Menschen mit persönlichen Anliegen heran, darunter ein Bauer, ein Waisenkind und eine Witwe. Trotz Zeitdruck hörte sich Konrad die Bitten an und lässt jedem Bittsteller Gerechtigkeit widerfahren. Unabhängig von der Frage, ob diese Begegnungen nun inszeniert waren oder ob Wipo sich die Geschichte nur ausgedacht hat ist die Aussage klar: Der neue König Konrad nutzt direkt die erste Gelegenheit, um durch Milde und Güte die Gerechtigkeit in seinem Reich wiederherzustellen.

In seiner Beschreibung der Krönung Friedrich Barbarossas legte Bischof Otto von Freising dagegen den Fokus auf die Wiederherstellung der Gerechtigkeit durch Strafe: Auch bei Barbarossas Krönung trat ein Bittsteller an den frisch gekrönten König heran – ein Dienstmann, dem Barbarossa zuvor aufgrund eines Vergehens die Gnade entzogen hatte. Der Dienstmann warf sich dem König zu Füße und bat um Vergebung, doch Barbarossa blieb streng und nahm den Dienstmann nicht wieder in seine Huld auf. Die Anwesenden – so jedenfalls Otto von Freising – waren beeindruckt von der Standfestigkeit Barbarossas und seinem Willen, streng die Gerechtigkeit anzustreben.

Freilich darf man auch bei dieser Quellenstelle nicht vergessen, dass es vor allem das Anliegen Ottos von Freising war, den Stauferherrscher so in Szene zu setzen. Es handelte sich also nicht um eine Art „Regierungserklärung“ Barbarossas (der sich in den folgenden Jahren durchaus auch häufig als milder und gnädiger Herrscher präsentierte). Dennoch konnte Otto offenbar voraussetzen, dass seine Leser diese positive Bewertung der Strenge Barbarossas teilten.

Die Interpretationsoffenheit von Ritualen und Symbolen

Im Zusammenhang dieser neuen Herrschaftsauffassung war das Hundetragen damit nicht mehr nur als ein Ritual, das auf Versöhnung und Wiederherstellung der alten Ordnung, sondern konnte auch als eine harte Bestrafung interpretiert werden, die sogar in der Nähe der Todesstrafe angesiedelt ist. Und das, obwohl sich am Ritual rein äußerlich nichts geändert hatte!

Noch heute kann ein und die selbe Geste unterschiedlich interpretiert werden: Ein Handschlag unter hochrangigen Politikern kann Zeichen echter Partnerschaft und Freundschaft sein, aber auch ein Kräftemessen unter Alphatieren.

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Es war gerade diese Interpretationsoffenheit ritueller Handlungen, die von der politischen Elite im Hochmittelalter geschickt ausgenutzt wurde. So basierte zum Beispiel der Frieden von Venedig 1177 hauptsächlich darauf, dass sowohl Kaiser Friedrich Barbarossa als auch Papst Alexander III. ihr Gesicht wahren konnten und Venedig zufrieden und als ebenbürtige Partner zu verlassen.

Genau diese Interpretationsoffenheit nutzte Barbarossa auch aus, als er Pfalzgraf Hermann zwar so hart bestrafte, einige Zeit später dann aber doch die Rückkehr in die herrscherliche Huld gewährte. Anders der Herzog von Böhmen: Er fokussiert gezielt die entehrende Komponente des Hundetragens als Schandstrafe.

Literatur zur Schandstrafe des Hundetragens


Weinfurter, Stefan: Ein räudiger Hund auf den Schultern. Das Ritual des Hundetragens im Mittelalter, in: Weinfurter, Stefan [u.a.] (Hg.): Die Welt der Rituale. Von der Antike bis heute, Darmstadt 2005, S 213-219.
Weinfurter, Stefan: Tränen, Unterwerfung und Hundetragen. Rituale des Mittelalters im dynamischen Prozess gesellschaftlicher Ordnung, in: Harth, Dietrich/Schenk, Gerrit Jasper (Hg.): Ritualdynamik. Kulturübergreifende Studien zu Theorie und Geschichte rituellen Handelns, Hamburg 2004, S. 117-137.
Schwenk, Bernd: Das Hundetragen. Ein Rechtsbrauch im Mittelalter, in: Historisches Jahrbuch, Bd. 110 (1990), S. 289-308.
Görich, Knut: Friedrich Barbarossa. Eine Biographie, München 2011.

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