Wilhelm von Rubruks Reise zu den Mongolen

Das mittelalterliche Europa war – so zeigt es die neuere Forschung vermehrt – intensiv geprägt vom Kontakt mit anderen Regionen....

Das mittelalterliche Europa war – so zeigt es die neuere Forschung vermehrt – intensiv geprägt vom Kontakt mit anderen Regionen. Handel, Pilgerreisen und diplomatische Gesandtschaften trugen zum interkulturellen Austausch bei. Schon im Frühmittelalter wurden weitreichende Beziehungen gepflegt: Karl der Große schickte zum Beispiel im Jahr 797 eine dreiköpfige Gesandtschaft zum Hof des Kalifen Harun Ar-Rschid in Bagdad. So haben die „Menschen des Mittelalters […] ihre Wahrnehmungsgrenzen immer weiter hinausgeschoben“ (Harald Müller).

Als Schlüsselzeit dieser Ausdehnung der Wahrnehmungsgrenzen gilt das 13. Jahrhundert mit der Reise des Marco Polo (1254–1324) als dem heute sicherlich bekanntesten Beispiel. Doch der Kaufmann aus Italien war nicht der einzige europäische Kundschafter, der Richtung Osten aufbrach. Um einen ganz besonderen Vertreter dieser Reisenden soll es heute gehen: Den Franziskanermönch Wilhelm von Rubruk, der im Jahr 1253 ins Reich der Mongolen aufbrach. Sein ehrgeiziges Ziel: Die Mongolen zum Christentum bekehren!

Warum Wilhelms Zeitgenossen so zuversichtlich waren, die Mongolen für das Christentum zu gewinnen, wie die Reise des Franziskanermönchs verlief, mit welcher Strategie er zum Missionierungserfolg kommen wollte und ob es geklappt hat, erfahrt ihr im heutigen Blog-Artikel.

Der Franziskanermönch Wilhelm mit einem Reisegefährten auf seinem Weg ins Mongolenreich. (Abbildung: Cambridge, Corpus Christi College, MS 066A, fol. 67r, entstanden im 14. Jahrhundert)

Eine neue Bedrohung aus dem Osten

Wie kam der Franziskanermönch Wilhelm Rubruk auf die Idee, die Mongolen bekehren zu können? Dafür müssen wir zunächst einen Blick auf die mongolische Expansion nach Westen werfen und verstehen, wie die Mongolen in Europa wahrgenommen wurden.

Denn zunächst gänzlich unbemerkt von den Europäern formierte sich zu Beginn des 13. Jahrhunderts im fernen Osten eine neue Großmacht – das Mongolische Reich. Die zentrale Figur dabei war Dschingis Khan, der sich in internen Machtkämpfen gegen die Anführer anderer mongolischer Stämme durchsetzen konnte und die geeinten Mongolen anschließend als Großkhan von Sieg zu Sieg führte. Unter Dschingis Khan eroberten die Mongolen ein Reich, das von Nordchina bis ans Mittelmeer reichte

Die Mongolen rückten bei ihren Eroberungszügen dabei immer weiter nach Westen vor und verbreiteten dort Angst und Schrecken, denn militärische hatten die Europäer den berittenen Kriegern aus dem Osten wenig entgegenzusetzen. Kaiser Friedrich II. und Papst Gregor IX. – nach eigenem Anspruch die beiden Anführer der Christenheit – waren zerstritten und bekämpften sich gegenseitig. So stand den Mongolen keine starke europäische Verteidigung gegenüber als sie im Jahr 1241 das Königreich Ungarn unterwarfen. Am Ende hatte Europa Glück, dass Großkhan Ögödei starb und die mongolischen Anführer zurück in die Heimat eilten, um um die Nachfolge zu kämpfen.

Am Ende waren die mongolischen Krieger damit ebenso plötzlich wieder aus Osteuropa verschwunden wie sie dort aufgetaucht waren. Entsprechend groß war der Schock über die Mongolen und viele erkannten in ihnen die Vorboten der Apokalypse und Vertreter der wundersamen Völker, die laut zeitgenössischen Vorstellungen den Rand der Erde bevölkern sollten.

Um der Sache auf den Grund zu gehen und mehr über Beweggründe und Ziele der Mongolen zu erfahren, ließ Papst Innozenz IV. auf dem Konzil von Lyon einen russischen Erzbischof befragen und entsandt wenig später eine eigene Gesandtschaft zu den Mongolen.

Je mehr Informationen man im Westen über die Mongolen hatte, desto deutlicher wurde den weltlichen und geistlichen Entscheidungsträgern, dass es sich bei den Mongolen nicht um apokalyptische Wunderwesen handelte, sondern um sehr irdische Heiden – die noch dazu offenbar gegenüber anderen Religionen sehr aufgeschlossen waren, wie man von Gesandten und Händlern erfuhr.

Und auch andere Nachrichten über das Verhältnis der Mongolen zur Religion machten die Christen hellhörig: Laut Johannes von Plano Carpini praktizierten die Mongolen eine monotheistische Religion und waren damit so etwas wie Beinahe-Christen, denen nur die abergläubischen Praktiken ausgetrieben werden mussten, um sie auf den rechten Weg zurückzuführen.

Es kursierten sogar Gerüchte, dass der Großkhan der Mongolen zum Christentum konvertiert sei und es unter den Mongolen viele Christen gäbe, die sich nichts sehnlicher wünschten als eine Kirchenorganisation mit Bistümern nach dem Vorbild der römischen Amtskirche. Damit war ab der Mitte des 13. Jahrhunderts unter den Christen in Europa eine neue Losung ausgegeben: Die Mongolen mussten (endgültig) für das Christentum gewonnen werden! Einer, der sich diese Aufgabe zur Herzensangelegenheit machte, war der Franziskanermönch Wilhelm von Rubruk.

Wilhelms abenteuerliche Reise zu den Mongolen

Über Wilhelms Leben sind nur wenige Anhaltspunkte überliefert. Er stammte wohl aus dem französischen Teil Flanderns und wurde um 1225 geboren. Als junger Mann studierte er in Paris Theologie, ab Dezember 1248 hielt er sich dann im Gefolge des französischen Königs auf und begleitete den König auf den Kreuzzug nach Ägypten 1249/50.

Vom Heiligen Land aus brach Wilhelm dann auch 1253 gen Osten auf – unterstützt mit finanziellen Mitteln des französischen Königs und in Begleitung von Bartholomäus von Cremona, einem diplomatisch erfahrenen Ordensbruder, einem königlichen Hofgeistlichen, dem Dolmetscher Homodei und einem Sklaven. Vom weiteren Verlauf seiner Reise wissen wir aus einem Brief Wilhelms Bescheid, den er nach seiner Rückkehr an den französischen König schrieb, um seinem Geldgeber Bericht zu erstatten. Da dieser Brief nie zur Veröffentlichung bestimmt war schrieb Wilhelm ohne die sonst stark verfremdenden literarischen Topoi. Der private Brief mit seinen vielen autobiographischen und erzählenden Berichten ist deshalb eine enorm interessante Quelle.

Wilhelms Ziel war zunächst der Hof von Sartaq Khan, einem mongolischen Teilherrscher, dessen Vater Batu Khan ein Enkel von Dschingis Khan war. Sartaq galt als sehr offen gegenüber dem christlichen Glauben und Wilhelm wollte dem Khan helfen, das Christentum unter seinen Leuten zu verbreiten. Vom Heiligen Land aus führte Wilhelms Weg über Konstantinopel und die Halbinsel Krim ins Hoflager Sartaqs. Dort blieb die kleine Truppe aber nicht lange: Sartaq schickte sie direkt weiter in das Lager seines Vaters Batu, der Wilhelm und seine Begleiter ebenfalls direkt an den Hof des Großkhans Möngke weiterverwies. Dort traf Wilhelm Ende Dezember 1253 ein – und war weder der einzige Christ noch der einzige Missionar, wie er schnell feststellen musste.

Denn der Großkhan und seine Sippe waren sehr interessiert am Austausch mit den Geistlichen der verschiedensten Religionen. Christliche Missionare hielten sich ebenso im Lager auf wie islamische und buddhistische. Als nomadisches Steppenvolk waren die Mongolen den Austausch mit verschiedenen Kulturen gewohnt, ihre Mobilität machte die Mongolen zu Botschaftern zwischen ihren sesshaften Nachbarn und bedingte ein hohes Maß an transkulturellem Austausch sowie religiöser Freiheit.

Davon war auch die religiöse Welt der Mongolen geprägt: Der mongolische Glaube war mehr animistisches Weltbild als geschlossene Religion. Alle Elemente der Natur galten prinzipiell als beseelt. Schamanen spielten in dieser Welt eine wichtige Rolle, denn sie besaßen die Gabe, den Kontakt zu Ahnen, Geistern und Göttern herzustellen.

Doch die Position eines jeden Schamanen war stets gefährdet – brachten seine Beschwörungen keinen sichtbaren Erfolg, dann waren die Mongolen schnell bereit, sich anderswo Hilfe zu suchen. Etwa bei einem anderen Schamanen, doch auch die Dienste von Geistlichen anderer Religionen wurden nicht verschmäht – solange der gewünschte Erfolg sich einstellte. So waren neben dem Schamanismus auch der Buddhismus, der Daoismus, der Islam und das orthodoxe Christentum im Mongolenreich vertreten.

Diese religiöse Vielfalt darf jedoch nicht mit so etwas wie der modernen Vorstellung von „Toleranz“ verwechselt werden. Die mongolischen Herrscher waren zwar bestrebt, alle Religionen in ihrem Reich gleich zu behandeln und keine zu bevorzugen, doch taten sie das eher, um ihre Fremdherrschaft über die Angehörigen der verschiedenen Religionen zu sichern. Eine pragmatische Offenheit der Mongolen gegenüber den magischen Fähigkeiten aller Geistlicher kam verstärkend hinzu. So fand Wilhelm im Mongolenreich eine ganz andere Ausgangssituation für seine missionarischen Tätigkeiten vor als etwa im Heiligen Land.

Beispiel für Kontakte zwischen Europa und den Mongolen: Der Großkhan überreicht den Gebrüdern Polo einen goldenen Tisch. (Abbildung: British Library, Royal 19 D I, entstanden 1333-1340, f. 59v.)

Die Klaviatur der missionarischen Bemühungen

Dennoch versuchte Wilhelm mit dem ihm bekannten Vorgehen als Missionar zum Erfolg zu kommen. Dazu gehörten drei zentrale Elemente:

Wilhelm praktizierte erstens eine sehr vorbildliche Lebensführung nach den Ordensregeln des Franziskanerordens. Er nahm keine Geschenke an, trug nur das Notwendigste bei sich und bot unterwegs kostenlose Gebete an. Allerdings erschwerte diese Strategie die Missionierungsbemühungen eher, denn ohne teure Gastgeschenke blieb Wilhelm auf den Stationen seiner Reise oft die Gastfreundschaft einflussreicher Personen verwehrt. Da Wilhelm zudem nicht an den beliebten und ausufernden Gelagen der Mongolen teilnahm, verbaute er sich selbst den Zugang zu wichtigen sozialen Kontakten im Lager des Großkhans.

Stattdessen versuchte Wilhelm sich bei seinem Vorgehen als Missionar zweitens in das kultische Leben am Hof und im Lager zu integrieren. Er tat das in enger Kooperation mit mongolischen ostsyrischen Priestern – mit denen er im lateinischen Europa wohl kaum ein freundliches Wort gewechselt hätte! Doch die Welt im Mongolenlager war eine andere und so zogen Wilhelm und die orthodoxen Priester in öffentlichen Prozessionen durch das Lager, stimmten in gemeinsame liturgische Gesänge ein und boten sogar Wetterzauber an – und bedienten damit die Nachfrage der Mongolen.

Mit einem gemeinsam praktizierten „Heilzauber“ gelang den christlichen Geistlichen sogar die Heilung von Möngkes Zweitfrau. Die war nämlich so diagnostizierten die Christen – von einem Dämon besessen. Ein Trank aus Weihwasser und Rhabarber brachte die erhoffte Heilung. Aus Dankbarkeit nahm der Großkhan sogar an der ostchristlichen Fastenzeit teil und feierte gemeinsam mit den Christen das Ende der Fastenzeit. Wilhelm versuchte stets, diese Momente zu nutzen, um den Mongolen seinen Glauben auch inhaltlich näher zu bringen, doch meist scheiterten seine Bemühungen an den mangelnden Sprachkenntnissen.

Deshalb griff Wilhelm auch nur selten zu seinem dritten Mittel bei der Missionierung, der öffentlichen Predigt. Eine gute Gelegenheit dazu sah er gekommen, als Ende Mai im Lager der Mongolen eine öffentliche religiöse Diskussion zwischen Buddhisten, Muslimen und Christen stattfinden sollte. Wilhelm bereitete sich akribisch vor, als wissenschaftlich geschulter Theologe betrachtete er die gebildete Disputation als sein ureigenstes Metier, auf dem er brillieren konnte. Dementsprechend akribisch bereitete Wilhelm sich vor und schwor die orthodoxen Christen auf eine gemeinsame Strategie ein. Laut seiner eigenen Darstellung konnte er alle Anwesenden durch seine rationale Argumentation überzeugen und so einen grandiosen Sieg des Christentums über die anderen Religionen erringen.

Der tatsächliche Effekt seiner geschulten Rhetorik auf die Mongolen war jedoch gering. Denn die ganze Veranstaltung diente eher der Unterhaltung des Großkhans und seiner Sippe – die Frage nach der wahren Religion wollte der Großkhan gar nicht abschließend beantwortet wissen. Ihm ging es eher darum, die vielfältige Gelehrsamkeit seines Reiches zu präsentiere und öffentlich darzustellen, dass alle Religionen ihren berechtigten Platz im Mongolenreich hatten. Einmal mehr zeigte sich, dass Wilhelm die Möglichkeiten und Bedingungen seiner Missionstätigkeit im Mongolenreich total falsch eingeschätzt hatte.

Wilhelm von Rubruk - ein "überforderter Vermittler"

Nicht zuletzt deshalb gilt Wilhelm als „ein überforderter Vermittler“ (Thomas Behrens) zwischen Westen und Osten. Schon die Ausgangslage war ungünstig für Wilhelm: Aufgebrochen war er im Glauben, eine ihm vertraute Situation vorzufinden. Nämlich einen christlichen Herrscher, dessen Untertanen offen für die Worte eines Missionars waren und bereit, ihren alten Glauben aufzugeben. Da die Situation im Mongolenreich jedoch komplett anders gelagert war, konnte Wilhelm die Erfahrungen aus seinen bisherigen Missionstätigkeiten nicht mehr nutzen – nun war Improvisation angesagt.

In einem Versuch, sich den neuen Gegebenheiten anzupassen, setzte Wilhelm sich das Ziel, die Familie des Großkhans zum Christentum zu konvertieren. Er integrierte sich dafür in das religiöse Leben des Hofes und scheute auch nicht die Zusammenarbeit mit Ostchristen. Doch Wilhelm gelang es nicht, das Religionsverständnis der Mongolen zu durchdringen. Was er nicht verstand: Die Effektivität der religiösen Praktiken waren den Mongolen wichtiger als eine arg theoretische heilige religiöse Wahrheit. Mit anderen Worten: „Was die Mongolen suchten, waren Magier, aber zu ihnen kam ein Philosoph.“ (Thomas Behrens) Die klassischen Mittel der christlichen Mission – vorbildliche Lebensführung, theologische Disputationen, Predigten – machten auf die Mongolen weniger Eindruck als ein funktionierender Wetterzauber.

Die Grenzen der lateinischen Mission

Neben Wilhelms Reise zu den Mongolen gab es eine ganze Reihe weiterer Versuche, das lateinische Christentum unter den Mongolen zu verbreiten. Glaubt man den zeitgenössischen lateinischen Quellen, dann waren die Missionsbemühungen beachtlich erfolgreich. So errichtete die römische Kirche im 14. Jahrhundert ein kurzlebiges und loses Netz aus Bistümern und Erzbistümern in Zentralasien, Persien und China.

Als Ursachen für diesen schnellen Niedergang werden oft die Große Pest, kriegerische Auseinandersetzungen, der schwierige Landweg nach Rom oder die Repressalien durch Herrscher wie die Ming in China genannt. Auch die Erfolge des Islams in den Auseinandersetzungen mit den Mongolen und den Kreuzfahrern werden als Gründe genannt, warum die mongolischen Khane eher zum Islam konvertierten als zum Christentum.

Doch hier – wie auch bei Wilhelm von Rubruk – lag tiefer: Die christliche Botschaft kam den Interessen der Steppennomaden einfach nicht entgegen. Andere Religionen ließen sich einfach besser in die existierenden schamanistischen Vorstellungswelt integrieren.

Das Scheitern der christlichen Missionierungsversuche lag nicht in externen strukturellen Faktoren begründet, sondern am Defizit der missionarischen Botschaft der Christen. Missionare wie Wilhelm von Rubruk scheiterten vor allem deshalb, weil es ihnen nicht gelang, ihre Botschaft den Erwartungen der Mongolen anzupassen – aus dem einfachen Grund, weil sie diese Erwartungen nicht begriffen.

Literatur zu Wilhelm von Rubruk

Behrens, Thomas: Ein gescheiterter interkultureller Vermittler? Wilhelm von Rubruks Reise zu den Mongolen 1253-1255, in: Frühmittelalterliche Studien 51 (2017), S. 193-266.
Lane, George A.: Daily Life in the Mongol Empire. Santa Barbara 2006.
Brauer, Michael: Obstacles to oral communication in the mission of Friar William of Rubruck among the Mongols. In: Jaritz, Gerhard/Richter, Michael (Hg.): Oral History of the Middle Ages. The Spoken Word in Context, Krems [u.a.] 2001, S. 196-202.
Manning, Christopher: Missionar or diplomat? William of Rubruck's journey to Mongolia, 1253-1255, Fullerton 2008.

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1 Kommentare

  1. Hallo,

    Echt bemerkenswert beschrieben! Du scheinst offensichtlich äußerst versiert.

    MfG,
    Wajos

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